Der Euro feiert dieses Jahr seinen zwanzigsten Geburtstag. Während der ersten zehn Jahre funktionierte die Gemeinschaftswährung besser als erwartet. Danach folgte die Euro-Krise. Leider sind die Probleme, die zu ihrem Ausbruch führten, bis heute ungelöst. Weitere Krisen sind daher wahrscheinlich.
Er war ein Wunschkind. Als der Euro vor 20 Jahren aus der Taufe gehoben wurde, wollten bis auf die Briten und Skandinavier alle damaligen EU-Mitglieder an der neuen Gemeinschaftswährung partizipieren. Elf der zwölf Beitrittswilligen waren von Beginn weg Teil des Euro-Raums. Griechenland stieß zwei Jahre später dazu. Zwar gab es Kritiker, die warnten, die Währungsunion komme zu früh. Sie verstummten indes bald, zumal sich die Gemeinschaftswährung prächtig entwickelte.
Europäisches Wirtschaftswunder
Aus dem finanzkräftigen Norden floss reichlich Kapital in die aufholbedürftigen Staaten der Peripherie. Die Zinsen der einzelnen Länder glichen sich wie erhofft an. Selbst griechische Staatsanleihen, die 1993 eine Rendite von knapp 25 Prozent abwarfen, lagen kurz nach der Jahrtausendwende nur noch wenige Basispunkte über dem deutschen Bund. Die Kapitalflüsse verursachten in den ehemaligen Hochzinsländern einen kräftigen Wachstumsschub. So wuchs die irische Volkswirtschaft zwischen 2000 und 2008 um mehr als die Hälfte. Das griechische Bruttoinlandsprodukt legte im selben Zeitraum 35 Prozent zu und Spanien verzeichnete ein Wachstum von 32 Prozent.
Doch das europäische Wirtschaftswunder war auf Sand gebaut. In Spanien befeuerten die Kapitalzuflüsse eine Immobilienblase, in Irland zusätzlich eine ungesunde Ausdehnung des Finanzsektors. Griechenland nutzte den neu gewonnenen Zugang zum Kapitalmarkt zur Aufblähung seines ohnehin schon großen Staatssektors. Die Wohlstandsillusion bewirkte in den betroffenen Ländern ein massives Lohnwachstum, das zum Verlust der Wettbewerbsfähigkeit führte. Während in Deutschland die Lohnstückkosten im ersten Jahrzehnt nach der Euro-Einführung knapp 8 Prozent zunahmen, stiegen sie beispielsweise in Griechenland fast um die Hälfte.
Überforderte Politik
Mit Ausbruch der Finanzkrise im Jahr 2007 versiegten die Kapitalströme. Das wenig nachhaltige Wachstum in der Euro-Peripherie kam zu einem jähen Ende. Es begann der Teufelskreis, der uns heute noch beschäftigt: Die Banken blieben auf faulen Krediten sitzen und mussten mit Steuergeldern gerettet werden. Entsprechend türmten die betroffenen Staaten beachtliche Schuldenberge auf und gerieten selbst in Schieflage. Die Zinssätze der Euro-Zone begannen sich bedrohlich auseinanderzuentwickeln. Der Euro hatte sich über Nacht vom Wunschkind zum Sorgenkind entwickelt.
Die europäische Politik reagierte überfordert. Zwischen den Südeuropäern, die Solidarität einforderten, und den Nordeuropäern, die auf die Eigenverantwortung der Schuldenstaaten pochten, taten sich Gräben auf. Immerhin konnten sich die Unionsmitglieder auf Unterstützungsprogramme für Griechenland, Irland, Portugal, Spanien und Zypern einigen. 2012 überführten sie die zunächst improvisierten Rettungsschirme in den dauerhaften Europäischen Stabilitätsmechanismus. Im selben Jahr beschlossen sie den Fiskalpakt, der der EU-Kommission ermöglicht, Defizitsünder zu büßen. Mit der Europäischen Bankenunion schufen die EU-Politiker eine gemeinsame Bankenaufsicht für den Euro-Raum und einheitliche Regeln für die Abwicklung insolventer Großbanken. Hauptakteur während der Euro-Krise war jedoch die Europäische Zentralbank. Mit mehreren Anleihekaufprogrammen und Zinssenkungen verhinderte sie den Kollaps in den Euro-Peripherieländern.
Im Teufelskreis von Staatsschulden und maroden Banken
Inzwischen haben sich die dunklen Wolken am Horizont ein wenig gelichtet. Selbst die griechische Wirtschaft wächst seit zwei Jahren wieder. Dennoch bleibt die Lage fragil. Abgesehen von Irland liegt die Staatsverschuldung in allen ehemaligen Krisenländern so weit über der Maastricht-Obergrenze, dass es wenig wahrscheinlich erscheint, sie allein durch Wirtschaftswachstum auf ein angemessenes Niveau zurückzuführen. Dies gilt umso mehr, als sich die Länder des Südens nicht durch allzu großen Reformeifer hervortun. Der Teufelskreis zwischen Banken und Staaten dreht sich somit weiter.
Je schwächer ein Staat finanziell aufgestellt ist, desto schwerer fällt es ihm, die Stabilität seines Bankensystems zu garantieren. Ohne glaubwürdige Garantie steigen im Krisenfall die Zinsen, was sowohl die Staatsfinanzen als auch die Solvenz der Finanzinstitute zusätzlich unter Druck setzt. Aufgrund der starken Vernetzung der Finanzmärkte kann es zu einem Flächenbrand kommen, der auch die Banken stabiler Länder wie Deutschland in Mitleidenschaft zieht.
Temporärer Euro-Austritt
An Ideen, wie sich der Teufelskreis durchbrechen lässt, fehlt es nicht. Einzelne Stimmen fordern beispielsweise einen temporären Euro-Austritt der Risikostaaten. Ihrer Meinung nach führt die mit der Rückkehr zur eigenen Währung verbundene Abwertung zu neuen Wachstumsperspektiven. Das Wachstum würde den betroffenen Ländern helfen, ihre Schulden abzubauen.
Allerdings ist umstritten, wieweit die Abwertung in einer globalisierten Welt noch funktioniert. Gita Gopinath, die Chefökonomin des IWF, zeigt in einer Forschungsarbeit, dass Entwicklungsländer ihre Exporte kaum steigern können, wenn sie ihre Währung abwerten. Da sie den internationalen Handel vornehmlich in US-Dollar abwickeln, steigen die Importkosten, während die Preise ihrer Exportgüter nahezu unverändert bleiben. Den südeuropäischen Ländern könnte es bei einem Austritt aus der Gemeinschaftswährung ähnlich ergehen. Denn es ist anzunehmen, dass der Euro beim grenzüberschreitenden Handel seine dominierende Rolle behielte. Zudem bliebe ein Teil der Schulden in Euro denominiert, wodurch die Verschuldung im Vergleich zu den in nationaler Währung ausgewiesenen Einkommen und Vermögen weiter zunähme.
Mit ESBies zu günstigeren Zinsen
Eine andere Idee, wie sich der Teufelskreis durchbrechen lässt, propagiert der Princeton-Ökonom Markus Brunnermeier in seinem Buch „Euro: Kampf der Wirtschaftskulturen“. Er schlägt vor, dass die Euro-Mitglieder ihre Staatsanleihen nicht mehr selbst auf den Markt bringen, sondern sie zu Wertpapieren namens „European Safe Bonds“, kurz ESBies, bündeln. Die ESBies würden wiederum in vor- und nachrangige Tranchen aufgeteilt. Das Ziel dahinter: Kommt es zu einer Krisensituation, sollen die Anleger nicht mehr aus süd- in nordeuropäische Anleihen, sondern von der Junior- zur Senior-Tranche der ESBies flüchten. Der europäische Süden wäre somit im Krisenfall vor massiven Zinsaufschlägen geschützt. Eine Vergemeinschaftung der Haftung fände – zumindest formal – nicht statt.
Die EU-Kommission machte sich den Vorschlag im letzten Jahr zu eigen. Aus Deutschland kommen hingegen negative Signale. So befürchtet das Bundesfinanzministerium, die Verbriefung von Staatsanleihen führe zu höheren Marktrisiken und zu einer Verminderung der Anzahl sicherer Anlagemöglichkeiten.
Europäischer Währungsfonds
Auf wenig Gegenliebe stößt hierzulande auch der Vorschlag von Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker, den Europäischen Stabilitätsmechanismus zu einem Pendant des IWF auszubauen und ihn als Rückversicherung für die Bankensanierung zu verwenden. 154 deutsche Wirtschaftsprofessoren warnten in einem öffentlichen Aufruf, dies stelle einen ersten Schritt zur Haftungsunion dar. Banken und Aufsichtsbehörden hätten mit einem Europäischen Währungsfonds weniger Anreize, faule Kredite zu bereinigen.
Weitere Euro-Krisen wahrscheinlich
Ein mehrheitsfähiger Vorschlag zur Durchbrechung des Teufelskreises zwischen überschuldeten Staaten und maroden Banken ist leider nicht in Sicht. Zu verschieden sind die Interessen der stabilen Volkswirtschaften im Norden und der unter einer hohen Schuldenlast und mangelnder Wettbewerbsfähigkeit leidenden Peripheriestaaten. Die unterschiedlichen Wirtschaftskulturen – der Norden bevorzugt regelbasierte Ansätze, während der Süden zur Bewältigung seiner Probleme auf Improvisation setzt – machen die Sache nicht leichter. Der Euro bleibt mithin ein Sorgenkind.
Für den deutschen Mittelstand bedeutet dies, dass er sich auf ein Wiederaufflammen der Euro-Krise einstellen muss. Weil es in Krisensituationen schnell zu einer Kreditklemme kommt, ist es wichtig, rechtzeitig eine krisentaugliche Finanzierungsstrategie zu erarbeiten. Bestandteil einer solchen Finanzierungsstrategie ist die Vermeidung einer einseitigen Abhängigkeit von den Banken. Alternative Finanzierungsvarianten wie Factoring, Finetrading oder Leasing können einen entscheidenden Beitrag dazu leisten.