Werksschließungen bei Continental, Kurzarbeit bei Schaeffler, Entlassungen bei Bosch: Die Autozulieferer stehen gewaltig unter Druck. Woran liegt es und wie findet die für Deutschland so wichtige Industrie wieder auf die Straße des Erfolgs zurück?
Der Abgasskandal war ein Wendepunkt. Plötzlich befand sich der Dieselmotor, mit dem die hiesigen Autohersteller den Weg in eine umweltfreundliche Zukunft beschreiten wollten, auf dem Abstellgleis. Seither gelten alle Zukunftshoffnungen der Elektromobilität. Doch obwohl deutsche Autobauer bereits im 19. Jahrhundert mit Elektromotoren experimentierten, stammen die jüngsten Entwicklungen in dieser Antriebstechnologie nicht aus Stuttgart oder München. Es war ein kalifornisches Start-up namens Tesla, das die ersten elektrisch betriebenen Serienfahrzeuge mit alltagstauglicher Reichweite produzierte. Auch beim autonomen Fahren, dem zweiten Trend, der die künftige Mobilitätsentwicklung prägen wird, haben Tech-Konzerne aus dem Silicon Valley die Nase vorn.
Fehlende Zukunftsstrategie
Verschärft wird die schwierige Lage der deutschen Autoindustrie durch die gegenwärtige Absatzkrise. Letztes Jahr ging die Fahrzeugproduktion in Deutschland um 9,3 Prozent zurück. Zwischen Januar und September war ein weiterer Rückgang von neun Prozent zu verzeichnen. Schuld daran ist die konjunkturelle Abkühlung in den wichtigsten Exportmärkten. So brachen die Ausfuhren in den ersten neun Monaten dieses Jahres um ganze zwölf Prozent ein. Vor allem der chinesische Automarkt schwächelt. Der Handelsstreit mit den USA, strengere Abgasnormen und der Wegfall von Steuervergünstigungen verderben den Chinesen die Kauflaune.
Die Probleme der Autohersteller setzen deren Zulieferer unter Druck. Einerseits sinkt ihr Umsatz mit dem Rückgang der Autoproduktion, andererseits leiden sie unter den Sparmaßnahmen, mit denen die Autokonzerne auf die Absatzschwierigkeiten reagieren. Die Unternehmensberatung Roland Berger hat in Zusammenarbeit mit der Investmentbank Lazard die Marktsituation der Zulieferindustrie analysiert. Die Studie prognostiziert für 2019 einen Einbruch der Gewinnmarge um 1,2 Prozentpunkte auf sechs Prozent. Damit wird zum ersten Mal seit 2012 die Sieben-Prozent-Marke unterschritten. Die Verfasser der Analyse sehen große Versäumnisse bei den betroffenen Unternehmen. Sie hätten sich allein auf das Tagesgeschäft fokussiert und die außergewöhnlich guten Jahre von 2010 bis 2017 zu wenig genutzt, um Zukunftsstrategien zu entwickeln. Darüber hinaus hätten sie sich von positiven Wachstumsprognosen blenden lassen und ihre Kapazitäten zu stark ausgebaut. Gerade in China, das bis vor Kurzem als Wachstumsmarkt galt, liegen bei einigen Zulieferern bis zu 70 Prozent der neu aufgebauten Produktionskapazitäten brach.
Effizienz steigern und investieren
Die Studienautoren warnen vor Finanzierungsschwierigkeiten. Bei einer Marge von sechs Prozent näherten sich die Zulieferbetriebe einem Bereich, in dem sowohl die Eigenfinanzierung als auch die Aufnahme von Fremdkapital schwieriger werde. Besonders bei kleineren Unternehmen könne dies zu Liquiditätsproblemen führen. Die Lage ist ernst – umso mehr, als die Autohersteller von ihren Lieferanten hohe Investitionen erwarten. Mittlerweile eilt es ihnen nämlich, den Rückstand in Sachen Elektromobilität und Digitalisierung aufzuholen. Daimler will beispielsweise bis 2022 in jeder Modellreihe mindestens eine Ausführung mit Elektroantrieb auf den Markt bringen. BMW hat ebenfalls ambitionierte Pläne. Bis zum Jahr 2023 beabsichtigen die Bayern, 25 Elektro- und Hybridfahrzeuge anzubieten. Bei Volkswagen soll bis 2025 jedes vierte Auto, das die Werkshallen verlässt, batteriegetrieben sein.
Für die Lieferanten der Autoindustrie ist es daher höchste Zeit, sich dem veränderten Marktumfeld anzupassen. Die Autoren der Roland-Berger-Studie geben ihnen diesbezüglich einige Tipps. Sie empfehlen, die Mitarbeiter für den Wandel ausreichend zu qualifizieren. Des Weiteren verweisen sie auf die Notwenigkeit von Kostensenkungs- und Effizienzsteigerungsprogrammen. Namentlich für kleine Unternehmen, deren Produkte keine Alleinstellungsmerkmale besäßen, seien solche Programme überlebensnotwendig.
Finanzielle Spielräume sichern
Zulieferbetrieben mit breitem Produktportfolio attestiert die Studie bessere Chancen als solchen, die nur wenige Produkte anbieten. Sie rät deshalb finanzstarken Unternehmen, ihre Angebotspalette durch Zukäufe zu erweitern. Anders sieht die Situation für kleinere Betriebe aus. Ihnen empfehlen die Analysten von Roland Berger, den Verkauf von Geschäftsbereichen oder eine Fusion zu überlegen. Wichtig sei, dass sich die Unternehmen der Zulieferbranche genügend finanziellen Spielraum sicherten, um für die Veränderungen der nächsten Jahre gerüstet zu sein.
Diesem Zweck dient auch eine Stärkung des Eigenkapitals durch Mezzanine-Finanzierungen – beispielsweise durch die Aufnahme eines stillen Teilhabers oder durch die Ausgabe von Nachrangdarlehen oder Genussscheinen. Gegenüber einer klassischen Kapitalerhöhung bieten Mezzanine-Finanzierungen eine Reihe von Vorteilen: Sie sind günstiger, der Zinsaufwand lässt sich von der Steuer absetzen und die Eigentümer behalten das letzte Wort in Ihrem Unternehmen. Angesichts des steigenden Margendrucks erfordert neben dem Eigenkapitalpolster insbesondere der Liquiditätsverlauf ein wachsames Auge. Zur Vermeidung eines Liquiditätsengpasses eignen sich nicht zuletzt vermögensbasierte Finanzierungsformen wie Leasing, Factoring und Einkaufsfinanzierung.
Jetzt handeln
Wollen die Lieferanten der Autoindustrie den Anschluss nicht verlieren, müssen sie in den nächsten Jahren massiv in neue Technologien investieren. Bloß: Welche Technologien werden sich in der Autobranche längerfristig durchsetzen? Ist es der Plug-in-Hybrid, der reine Elektroantrieb oder vielleicht gar der Wasserstoffmotor? Niemand weiß es. Dementsprechend bezeichnen die Verfasser der Roland-Berger-Studie die notwendigen Investitionen als „unsichere Wette auf die Technologie der Zukunft“. Sie raten den betroffenen Unternehmen, die Investitionslasten auf verschiedene Schultern zu verteilen und nach Venture-Kapitalgebern oder Kooperationspartnern zu suchen. Auf keinen Fall darf die Unsicherheit die Zulieferer jedoch dazu verleiten, weiter abzuwarten. Die Studie endet mit dem dringlichen Appell, jetzt zu handeln.