Die EU-Kommission weist den italienischen Budgetentwurf für das nächste Jahr zurück. Standard & Poor’s droht Italien mit der Herabstufung. Doch die Populisten aus Rom bleiben stur. Ist mit einem Wiederaufflammen der Euro-Krise zu rechnen?
Eine „sanfte Revolution“ ist es, was die Italiener vorhaben. Diese Worte zumindest wählte Ministerpräsident Giuseppe Conte, als er sich am 22. Oktober vor versammelter Auslandspresse zum Budgetstreit mit der Europäischen Union äußerte. Seine Regierung wolle das System erneuern und werde deshalb viele Gesetze infrage stellen. Eines davon ist der Stabilitätspakt, der die Mitglieder der Eurozone verpflichtet, ihre Staatsverschuldung auf 60 Prozent des Bruttoinlandsprodukts zu beschränken. Der Schuldenstand Italiens ist derzeit mit fast 132 Prozent mehr als doppelt so hoch.
2,4 Prozent Defizit für Wahlversprechen
Dennoch strebt die Römer Regierung für 2019 ein Defizit von 2,4 Prozent an – das Dreifache dessen, was das Vorgängerkabinett mit der EU-Kommission vereinbarte. Mit dem Fehlbetrag wollen die Koalitionäre aus Cinque Stelle und Lega ihre Wahlversprechen finanzieren. Im nächsten Jahr beabsichtigen sie, ein Grundeinkommen für Arbeitslose einzuführen, auf die geplante Erhöhung der Mehrwertsteuer zu verzichten und das Rentenalter zu senken. Für Kleinunternehmer sieht der Haushaltsentwurf eine Flat-Tax vor. 15 Milliarden Euro für den Ausbau der Infrastruktur sollen zudem helfen, die Wirtschaft anzukurbeln. Insgesamt reißt das geplante Budget ein Loch von 27 Milliarden Euro in die Staatskasse.
Damit provozieren die Italiener den offenen Streit mit der Union. Die EU-Kommission hat den Haushaltsentwurf am 23. Oktober zurückgewiesen. Obwohl die Mitgliedsstaaten fast routinemäßig gegen die Stabilitätskriterien verstoßen, ist dieser Vorgang präzedenzlos. Auch auf den Finanzmärkten kommt die italienische Revolution schlecht an. Der Spread zwischen dem zehnjährigen Bund und den italienischen Staatsanleihen gleicher Laufzeit beträgt derzeit knapp 300 Basispunkte, so viel wie zuletzt Mitte 2013. Die Ratingagentur Moody’s senkte die Bewertung Italiens am 19. Oktober von Baa2 auf Baa3. Damit ist das Land noch eine Stufe vom Junk-Status entfernt. Standard & Poor’s beließ das Rating am 26. Oktober zwar bei BBB, senkte den Ausblick allerdings auf „negativ“.
Machtpoker mit ungewissem Ausgang
Richtige Revolutionäre lassen sich von solchen Kleinigkeiten jedoch nicht aus dem Konzept bringen. So meinte der umtriebige Lega-Chef und Vizepremier Matteo Salvini zum negativen Rating-Ausblick trocken: „Das ist ein Film, den wir schon einmal gesehen haben.“ Zuvor hatte er bereits betont, seine Regierung werde am Budget „kein Komma ändern“. Dies erinnert an das Jahr 2015, als die griechische Regierung unter Ministerpräsident Alexis Tsipras den Aufstand gegen ein mit der EU und dem IWF vereinbartes Reformprogramm probte. Obwohl er die Bevölkerung nach gewonnenem Referendum hinter sich wusste, gab Tsipras den Widerstand rasch auf. Zu groß war seine Angst vor einem ungewollten Ausscheiden aus der Währungsunion.
Die italienische Regierung wähnt sich dagegen in einer Position der Stärke. Sie glaubt, Italien sei zu groß, als dass sich die EU erlauben könnte, das Land bei allfälligen Turbulenzen auf den Finanzmärkten fallen zu lassen. Immerhin ist Italien die drittgrößte Volkswirtschaft der Union, sein Bruttoinlandsprodukt ist 8,5-mal so groß wie jenes von Griechenland. Der Machtpoker könnte allerdings ein böses Ende nehmen. Italien ist nämlich nicht nur „too big to fail“, das Land ist möglicherweise auch „too big to bail“. Schon im Mai warnte EU-Haushaltskommissar Günther Oettinger, der Europäische Stabilitätsmechanismus könne Italien bei einem Scheitern nicht retten.
Gefahr eines Flächenbrande
Während der Griechenland-Krise gelang es den Verantwortlichen aus EZB und Politik recht gut, die anderen Wackelkandidaten aus Südeuropa durch Anleihenkaufprogramme und Rettungspakete vom Krisenherd abzuschirmen. Sollten sich die EU-Institutionen bei einer allfälligen Italien-Rettung tatsächlich als überfordert erweisen, wäre die Situation indes eine andere. Die Finanzmärkte verlören schlagartig jedes Vertrauen, dass die Union in der Lage ist, die südeuropäischen Volkswirtschaften zu stabilisieren. Die Folge wäre ein Flächenbrand, der auch Deutschland in eine Rezession reißen könnte.
Besonders heikel sind die Wirren um den italienischen Haushalt für Italiens Banken, deren Assets zu zehn Prozent aus heimischen Staatsanleihen bestehen. Bereits in den letzten beiden Quartalen büßten sie durch die Kursverluste der Zinspapiere im Schnitt ein halbes Prozent ihres Kernkapitals ein. Die steigenden Zinsen verteuern außerdem ihre Refinanzierungskosten und sorgen für Kreditausfälle. Mit über elf Prozent ist der Anteil notleidender Kredite am gesamten Kreditvolumen Italiens heute schon relativ hoch. Aufgrund von Größe und Vernetzung des italienischen Bankensektors wäre von einer italienischen Bankenkrise das gesamte europäische Finanzsystem betroffen.
Dasselbe würde bei einem italienischen Staatsbankrott zutreffen, zumal sich ein nicht unwesentlicher Teil der Buoni del Tesoro Poliennali in den Büchern europäischer Banken befindet. Die größte Exposition gegenüber den italienischen Staatsanleihen haben die französischen Geldhäuser mit 64 Milliarden Euro, gefolgt von den spanischen Banken mit 48 Milliarden Euro. Auch die deutschen Finanzinstitute haben dem italienischen Staat Schuldtitel für 37 Milliarden Euro abgekauft.
Falls Italien bei einem Staatsbankrott den Euro verlassen müsste, wäre Deutschland mit einem weiteren Problem konfrontiert: dem anteiligen Verlust an den italienischen Target-Verbindlichkeiten. Die Ungleichgewichte im europäischen Clearing-System befinden sich gegenwärtig nämlich auf Rekordstand. Während Deutschland im August ein Target-Guthaben von fast einer Billion Euro hatte, schuldete Italien dem Target-System zum selben Zeitpunkt knapp 500 Milliarden Euro.
Auf Wiederaufflammen der Euro-Krise vorbereiten
Noch besteht Hoffnung, dass die Römer Populisten ihre Revolution abblasen und das Budget überarbeiten. Nicht weil sie Angst vor den drohenden EU-Sanktionen haben. Salvini hat bereits klargemacht, Rom werde keine Strafzahlungen akzeptieren. Zur Raison bringen könnte die Hasardeure aber ein weiterer Zinsanstieg. Schließlich verfügt Italien über keine eigene Notenbank, die sich für eine unbeschränkte Schuldenfinanzierung einspannen ließe.
Gleichwohl ist der deutsche Mittelstand gut beraten, sich auf ein Wiederaufflammen der Euro-Krise vorzubereiten. Ein wichtiger Schritt ist die Diversifizierung der Absatzmärkte. Letztes Jahr gingen mehr als fünf Prozent aller deutschen Exporte nach Italien und rund zehn Prozent nach Südeuropa. Darüber hinaus lohnt es sich, über eine breitere Streuung der Finanzierungsquellen und -instrumente nachzudenken. Denn im Falle einer erneuten Bankenkrise führt eine einseitige Abhängigkeit von der Hausbank schnell zu gefährlichen Liquiditätsengpässen.