Im dritten Quartal des Jahres 2018 schrumpfte die deutsche Wirtschaft. Ist die seit 2010 andauernde Wachstumsperiode am Ende?
Es waren keine guten Nachrichten, die das Statistische Bundesamt am 23. November zu vermelden hatte. Im Herbstquartal dieses Jahres sank die Wirtschaftsleistung im Vergleich zum Vorquartal um 0,2 Prozent. Dies ist der erste Rückgang seit dem Frühjahrsquartal 2015. Der Grund für das schwache Abschneiden der deutschen Wirtschaft hat vier Buchstaben: WLPT. Das neue Abgasmessverfahren, das im September in Kraft trat, zwingt die Autohersteller dazu, ihre gesamte Modellpalette unter verschärften Bedingungen neu zertifizieren zu lassen.
WLTP belastet Autoindustrie
Die meisten deutschen Autobauer gerieten – nicht zuletzt wegen ihrer zusätzlichen Belastungen aus dem Dieselskandal – mit der WLTP-Zertifizierung in Rückstand. Deshalb mussten sie im August und September ihre Produktion gegenüber den Vorjahresmonaten um mehr als ein Viertel drosseln. Gemäß einer in der Zeitschrift „Wirtschaftsdienst“ erschienenen Analyse reduzierten die Probleme der Autoindustrie das Wachstum des Bruttoinlandsproduktes im dritten Quartal um 0,3 Prozentpunkte. Was die Zukunft anbetrifft, sind die Autoren hingegen optimistisch. Sie erwarten, dass die Fahrzeugproduktion noch vor Jahresende wieder ihr normales Niveau erreicht.
Positive Konjunkturprognosen
Dürfen wir also damit rechnen, dass die seit 2010 andauernde Hochkonjunktur die kleine Wachstumsdelle im Herbstquartal unbeschadet übersteht? Die Antwort der meisten Konjunkturforscher lautet „ja“. Für 2019 sagen sie ein gegenüber diesem Jahr nahezu unverändertes Wachstum von 1,4 bis 2 Prozent voraus. Allerdings – darin sind sich die meisten Prognosen einig – steigt die Gefahr einer Krise.
Zu den Konjunkturrisiken gehört der Handelskonflikt mit den USA. Zwar erzielte Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker mit US-Präsident Donald Trump im Juli eine Art „Waffenstillstand“. Die beiden vereinbarten, über die Abschaffung von Zöllen zu verhandeln und währenddessen auf die Einführung neuer Importabgaben zu verzichten. Doch Trump bleibt unberechenbar. Schon einen Monat nach der Vereinbarung wies er den Vorschlag von EU-Handelskommissarin Cecilia Malmström, die Autoimportzölle auf gegenseitiger Basis aufzuheben, zurück. Europäische Verbraucher würden ja sowieso keine amerikanischen Autos kaufen, rechtfertigte sich Trump gegenüber Bloomberg.
Zunehmende Risiken im Außenhandel
Entsprechend ist auch die vorläufige Einigung im Handelskonflikt zwischen den USA und China mit Vorsicht zu genießen. Die Vereinigten Staaten und China sind die Nummer eins und drei unter den deutschen Exportpartnern. Eine Eskalation der Zollstreitigkeiten und der damit verbundene Wachstumsverlust vor allem in China würden die exportorientierte deutsche Volkswirtschaft spürbar beeinträchtigen.
Ein weiteres Risiko, das wie ein Damoklesschwert über dem deutschen Außenhandel schwebt, ist der Brexit. Im letzten Jahr betrug der Handelsüberschuss mit Großbritannien rund 50 Milliarden – fast gleich viel wie mit den fünfmal so großen USA. Käme es zu einem harten Brexit, was trotz des erfolgreich verhandelten Austrittsvertrags keineswegs unmöglich scheint, entständen zwischen Deutschland und dem Inselkönigreich Zollschranken. Dadurch würden nicht nur deutsche Produkte verteuert, sondern auch etablierte Wertschöpfungsketten zerstört. Ein Großbritannien, das ohne jegliche Handelsverträge dastände, wäre im Übrigen deutlich ärmer als heute und könnte sich weniger deutsche Importe leisten.
Probleme drohen außerdem aus dem Süden. Griechenland, Italien und Portugal haben mit 176 Prozent, 131 Prozent respektive 125 Prozent ihres Bruttoinlandsprodukts erkleckliche Schuldenberge aufgetürmt. Besonders Italien und Griechenland legten in den letzten Jahren wenig Reformeifer an den Tag. Das Vertrauen in die Tragfähigkeit ihrer Schulden bleibt mithin fragil. Folglich braucht es wenig, um die längst überwunden geglaubte Euro-Krise wieder zum Ausbruch zu bringen.
Drohende Überhitzung
Es wäre aber falsch, die Gefahren lediglich im Ausland zu suchen. Der aktuelle Konjunkturzyklus dauert mit neun Jahren bereits überdurchschnittlich lange. Die Produktionsfaktoren sind über ihr langfristiges Potenzial hinaus ausgelastet. Mit 4,8 Prozent ist die Arbeitslosigkeit auf dem tiefsten Stand seit der Wiedervereinigung. Die Löhne steigen und die Teuerung lag im Oktober bei 2,5 Prozent – so hoch wie zuletzt vor sieben Jahren. In anderen Worten: Der deutschen Wirtschaft droht die Überhitzung.
Dennoch bleibt die Geldpolitik der Europäischen Zentralbank auf Expansionskurs. Der EZB-Rat plant zwar, das Anleihekaufprogramm auf Ende des Jahres auslaufen zu lassen. Ein erster Zinsschritt soll indes frühestens nächsten Herbst erfolgen. Die Stimulation einer überausgelasteten Wirtschaft birgt die Gefahr von Fehlallokationen und Preisblasen. Tatsächlich beobachten wir zurzeit eine Blasenbildung an den Anleihemärkten. So sank die Rendite von Bundesanleihen mit zehnjähriger Restlaufzeit in den letzten zehn Jahren auf ein historisch einmaliges Tief. David Folkerts-Landau, Chefvolkswirt der Deutschen Bank, warnt denn, bei den Anleihen habe sich die „größte Blase der Menschheitsgeschichte“ gebildet. Auch auf den Immobilienmärkten von Großstädten wie München und auf den Aktienmärkten fanden in den letzten Jahren ungesunde Preissteigerungen statt.
Auf kommende Krise vorbereiten – Finanzierung diversifizieren
Eine Zinserhöhung oder die Verwirklichung eines der außenwirtschaftlichen Risiken könnte diese Blasen zum Platzen bringen – mit verheerenden Folgen. Der Preiszerfall bei Anleihen, Immobilien und Aktien würde einen Großteil des mit durchschnittlich 4,5 Prozent sehr tiefen Eigenkapitals der deutschen Banken auffressen. Die Finanzinstitute wären gezwungen, ihre Kreditvergabe stark zu einzuschränken. Von der Europäischen Zentralbank wäre angesichts des ohnehin tiefen Zinsniveaus und der enormen Bilanzausweitung der letzten Jahre wenig Hilfe zu erwarten. Zudem hätten die meisten Euro-Mitglieder wegen ihrer hohen Verschuldung kaum Spielraum für konjunkturpolitische Maßnahmen.
Die meisten Ökonomen rechnen nicht damit, dass ein solches Krisenszenario bereits im Verlauf des nächsten Jahres eintrifft. Das Risiko einer Finanz- und Wirtschaftskrise nimmt jedoch zu. Der deutsche Mittelstand ist daher gut beraten, die weiterhin freundliche Konjunkturlage zu nutzen und sich auf schwierige Zeiten vorzubereiten. Wichtig ist in diesem Zusammenhang die Erarbeitung einer krisentauglichen Finanzierungsstrategie. Nur wer seine Finanzierung rechtzeitig auf eine breite Basis stellt, verfügt über die notwendige Unabhängigkeit von der Hausbank, wenn es im Krisenfall zu einer Kreditklemme kommt.