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Negativzinsen – das neue Perpetuum mobile?

Seit 2016 gelten im Euroraum Negativzinsen. Noch nie war es so günstig, sich zu verschulden. Einzelne Unternehmen verdienen mit ihren Schulden sogar Geld. Die paradiesischen Zustände bergen allerdings erhebliche Risiken.

Der Zins ist das Entgelt des Schuldners für die Kapitalaufnahme. Für diese Definition würde ein Schüler mit einer schlechten Zensur bestraft. Doch zur Verwirrung eines jeden Schülers (und vieler erfahrener Beobachter des Wirtschaftsgeschehens) hält sich die Praxis nicht an die Vorgaben der Lehrbücher. Dass Gläubiger für die Kapitalanlage zahlen müssen, ist seit 2009 Realität. Damals führte die Schwedische Reichsbank als weltweit erste Notenbank Negativzinsen ein. Die Europäische Zentralbank folgte fünf Jahre später. Im Juni 2014 senkte sie den Zinssatz für die Einlagefazilität, in der Banken kurzfristig nicht benötigte Liquidität parken, auf –0,10 Prozent. Nach drei weiteren Senkungsrunden liegt der Einlagesatz seit März 2016 unverändert bei –0,40 Prozent.

Mit Schulden Geld verdienen

Zusammen mit dem inzwischen eingestellten Anleihekaufprogramm der EZB haben die Negativzinsen auf den Märkten deutliche Spuren hinterlassen. Erstklassige Schuldner sind teilweise in der Lage, Anleihen so weit über pari zu emittieren, dass sie mehr Geld einnehmen, als sie an Zinsen auszahlen müssen. Beispielsweise platzierte die Bundesrepublik im April eine sechsmonatige Schatzanweisung mit einer Negativrendite von –0,54 Prozent. Selbst für zehnjährige Bundesanleihen sind die Gläubiger derzeit bereit, dem Bund 0,05 Prozent des Anlagebetrags zu zahlen.

Nicht nur Staaten verdienen mit ihren Schulden Geld. 2016 waren der deutsche Konsumgüterhersteller Henkel und der französische Pharmakonzern Sanofi die ersten Unternehmen, die eine Anleihe mit Negativrendite auf den Markt brachten. Seither gelang dieses Kunststück weiteren Unternehmen. Auch die Kreditzinsen befinden sich mittlerweile in einem Allzeittief. Die Düsseldorfer Unternehmensberatung Barkow Consulting berechnete am 19. April für einen fünfjährigen Neukredit mit Zinsbindung einen durchschnittlichen Zinssatz von 1,47 Prozent.

Gefährliche Spekulationsblasen

Haben wir also endlich das geldpolitische Perpetuum mobile gefunden, das uns ewigen Wohlstand beschert? Kaum. Denn die extreme Tiefzinspolitik hat gravierende Nebenwirkungen. Insbesondere führt sie zu Spekulationsblasen an den Finanz- und Immobilienmärkten. So stellt der Internationale Währungsfonds in seinem letztjährigen Länderbericht zu Deutschland fest, dass die Immobilienpreise in den größeren Städten wesentlich stärker gestiegen seien, als sich aus den Fundamentaldaten erklären lasse. In München sind die Immobilienpreise laut IWF um 46 Prozent zu hoch, in Hamburg, Frankfurt und Hannover um 25 bis 30 Prozent. Solche Preisblasen bergen nicht bloß die Gefahr, eines Tages zu platzen und eine Finanzkrise zu verursachen. Sie sorgen auch für eine Vermögensumverteilung zu den Wohlhabenden, was längerfristig zu politischen Spannungen führt.

Banken und Pensionskassen unter Druck

Von der Blasenbildung abgesehen belasten Negativzinsen die Ertragslage der Banken, zumal sie sich nicht vollständig an die Kontoinhaber weiterreichen lassen. Besonders betroffen sind die deutschen Finanzinstitute, deren Erträge zu fast 70 Prozent aus dem Zinsdifferenzgeschäft stammen. Gemäß einer Studie der Managementberatung Bain & Company lag die Eigenkapitalrendite deutscher Geldhäuser im Jahr 2017 bei kümmerlichen zwei Prozent. Nur jedes zwölfte Institut holte die Eigenkapitalkosten von durchschnittlich 4,9 Prozent herein. Die deutschen Banken sind deshalb kaum in der Lage, ihr Kapitalpolster auszubauen. Dies wäre indes dringend notwendig, wenn wir verhindern wollen, dass es während der nächsten Wirtschaftskrise zu einer Kreditklemme kommt. Beim letzten europäischen Banken-Stresstest verfügten die deutschen Kreditinstitute nämlich über eine ungewichtete Eigenkapitalquote von gerade einmal 4,51 Prozent. Damit bildeten sie das Schusslicht aller teilnehmenden Banken.

Ungemütlich ist die Situation auch in der Altersvorsorge. Pensionskassen und Lebensversicherer haben angesichts des Zinsumfeldes zunehmend Mühe, die Garantiezinsen zu erwirtschaften. Bereits im letzten Frühjahr warnte die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht, ohne Kapitalspritze könnten einige Pensionskassen zukünftig nicht mehr die vollen Leistungen erbringen. Im Moment steht ein Fünftel aller Pensionskassen unter verschärfter Aufsicht, zweien hat die BaFin den Abschluss von Neuverträgen untersagt.

Kein Senkungspotenzial im Krisenfall

Die Negativzinsen verursachen noch ein weiteres Problem: Sie beschränken den Spielraum der Zentralbanken zur Krisenbekämpfung. Typischerweise senken die Währungshüter während einer Rezession die Leitzinsen um drei bis sechs Prozent, um die Wirtschaft wieder anzukurbeln. Die EZB senkte beispielsweise zwischen 2008 und 2009 den Hauptrefinanzierungssatz von 4,25 Prozent auf 1,00 Prozent und den Einlagesatz von 3,25 Prozent auf 0,25 Prozent. Liegen die Zinssätze jedoch nahe bei null Prozent oder darunter, besteht kaum mehr Senkungspotenzial. Denn ab einem gewissen Punkt beginnen die Bankkunden, ihr Guthaben abzuziehen.

Wann dieser Punkt erreicht ist, ist umstritten. Namentlich für institutionelle Anleger ist die Bargeldhortung kostspielig. Sie müssen das Geld transportieren, lagern und bewachen. Darüber hinaus ist eine Versicherung notwendig. Die bayerischen Sparkassen rechnen gemäß Zeitungsberichten mit Versicherungskosten von 1,79 Euro pro 1000 Euro. Vor allem aber ist Bargeld deutlich weniger liquide als eine Sichteinlage bei einer Bank oder der Zentralbank und darum kein perfektes Substitut. Das ist wohl der Grund, weshalb trotz des negativen Einlagesatzes im Euroraum bisher keine eigentliche Flucht ins Bargeld stattfand.

Zinswende in weiter Ferne

Dementsprechend hat es die Europäische Zentralbank mit der Zinswende nicht eilig. Sie bereitete die Anleger zwar seit Mitte des letzten Jahres auf eine Leitzinserhöhung ab Herbst 2019 vor. Im März beschloss sie jedoch, die geldpolitische Normalisierung frühestens im nächsten Jahr anzugehen. Die Notenbanker wollen warten, bis sich die Inflation längerfristig auf einem Niveau von knapp unter zwei Prozent einpendelt. Angesichts der hohen Risiken, die mit der aktuellen Situation einhergehen, ist dies keine gute Nachricht. Im Übrigen wird die geldpolitische Normalisierung umso schwieriger, je länger die Notenbank damit zuwartet. Es besteht die Gefahr, dass sich die Negativzinsen nicht als Perpetuum mobile, sondern vielmehr als Teufelskreis erweisen, in dem wir auf Jahre hinaus gefangen bleiben. Warum es so schwierig ist, der gegenwärtigen Tiefzinspolitik zu entrinnen, lesen Sie in einem unserer nächsten Beiträge.

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