Rezession voraus – Aktien haussieren! Wie passt das zusammen?

Blick aus der Frauenkirche
8. Mai 2023

Die deutsche Wirtschaft ist im ersten Quartal haarscharf an der lange befürchteten Winterrezession vorbeigeschrammt.

Frauenkirche München

Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) stagnierte von Januar bis März zum Vorquartal, zuvor befragte Ökonomen hatten noch ein Plus von 0,2 Prozent erwartet, nachdem es im vierten Quartal ein Minus von 0,5 Prozent gegeben hatte. Bei zwei Minus-Quartalen in Folge wird nach der ökonomischen Lehre von einer Rezession gesprochen, die mit dem positiven Jahresauftakt nun verhindert wurde.

Wegen der andauernden Mangelsituation im Bereich der Fachkräfte sank die Zahl der Arbeitslosen weiter, die Quote der Stellensuchenden verharrte jedoch bei 5,7 Prozent. Bei den Unternehmen ist die Bereitschaft zu Neueinstellungen ungeachtet der undurchsichtigen Lage aktuell so groß wie seit Monaten nicht mehr, Treiber der aktuellen Bewegung ist der Dienstleistungs-Sektor.

Größter Kaufkraftverlust seit 30 Jahren
Ein generell besseres Abschneiden der Konjunktur verhinderten jedoch die sinkenden Konsumausgaben der Verbraucher, welche infolge der historisch größten Kaufkraftverluste seit der Ölkrise nicht wirklich in Shoppinglaune waren. In Teilbereichen hat Deutschland sogar den stärksten Rückgang seit fast 30 Jahren zu verkraften, denn aufgrund der hohen Dynamik bei den Lebensmittelpreisen von plus 22,3 Prozent im Jahresvergleich gaben die Bürger deutlich weniger für die Dinge des täglichen Lebens aus.

Vor allem kapitalschwächere Familien sind hiervon betroffen. Inflationsbereinigt fiel der Einzelhandelsumsatz mit Lebensmitteln im März um 10,3 Prozent niedriger aus als ein Jahr zuvor, das ist laut Aufzeichnungen des Statistischen Bundesamts der stärkste Umsatzrückgang seit Beginn der Zeitreihe im Jahr 1994. Der Preisauftrieb war in diesem Segment damit dreimal so hoch wie die Inflationsrate insgesamt mit 7,4 Prozent.

Auf der öffentlichen Seite nahmen die staatlichen Konsumausgaben deutlich ab, einzig positive Impulse kamen hingegen von denInvestitionen und den Exporten. Ob sich die deutsche Wirtschaft allein mit diesen zwei Treibern über Wasser halten kann, wird sich im laufenden Quartal zeigen. Durch die aktuellen Klimabeschlüsse der EU zur Mobilität und speziellen Ländergesetzgebungen wie z.B. das Gebäudeenergiegesetz 2024 wird sich in Teilsegmenten der Wirtschaft ein Boom zeigen, der aber wegen der gerechten Lastenverteilung vor allem staatsfinanziert sein wird. Private Investoren sind durch den Wegfall der EEG-Umlage seit Juli 2022 kaum mehr in der alternativen Energie-Erzeugung vertreten.

Sinkende Energiekosten stützen die Konjunktur
Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) geht dennoch davon aus, dass die Konjunktur im laufenden Frühjahrsquartal an Schwung gewinnen wird. Dazu dürfte vor allem die anziehende Industrieproduktion auch in den energieintensiven Wirtschaftszweigen zum Wachstum beitragen. Nach einem eher schwachen Februar mit -2,4 Prozent haben geben die Zuwächse von 3,7 Prozent bzw. 2,0 Prozent im März und April Anlass zur Zuversicht.

Unterstützend wirken die stark fallenden Energiekosten mit Ölpreisen unter 80 USD und einem Gaspreis, der das Vorkrisenniveau von 20 USD vor Augen hat. Durch die verfehlte Einkaufspolitik der Bundesregierung kann der private Verbraucher von diesen Rückgängen leider nicht profitieren. Vielmehr haben deutsche Haushalte im internationalen Vergleich einer der höchsten Heiz- und Stromkosten. Diese Lage wird sich vermutlich bis ins Jahr 2025 nicht ändern und belastet das Konsumklima nachhaltig. Erst dann ist damit zu rechnen, dass Deutschland die bisher hohe Förderquote von fossilen Brennstoffen aus Russland von ca. 45 Prozent im Jahr 2019 in neue Lieferkontrakte mit verlässlichen Partnern getauscht haben wird. Bis dahin wird Deutschland mit allem beliefert, was gut und teuer ist, auch wenn das Flüssiggas aus Katar einen Seeweg von mehr als 10.000 Kilometern bis zum LNG-Terminal in Wilhelmshafen zurücklegen muss. Ohne dass die Wirtschaftspolitik hier wirklich verantwortlich ist, kann die deutsche Industrie durch eigene Verträge derzeit wieder günstig im Auslandeinkaufen und profitiert von den zuletzt stark fallenden Energiepreisen.

Zinsniveau belastet Immobilienbereich weiter
Dreh- und Angelpunkt für die Konjunktur-Entwicklung hierzulande wird der weitere Verlauf der Geldpolitik sein. Die zuletzt kräftigen Zinserhöhungen der Europäischen Zentralbank (EZB) dürften die Kreditaufnahme in Europa zunehmend hemmen, was in den kommenden Monaten vor allem die Investitionen und den Bau ausbremsen dürfte. Ein Malus für die Gesellschaft sind in diesem Zusammenhang auch die gewaltigen Vermögensverluste im Immobilienbereich, die sich durch den generellen Abwertungsdruck sowie den erhöhten Energie-Sanierungsbedarf auftun.

Differenziert nach Region und Lage, rechnen Experten nach einem Peak im Jahr 2021 mit signifikanten Wertabschlägen bei älteren Immobilien. Nach einer jahrelangen Blasenbildung alimentiert durch beinah kostenlose Kredite, sinken die Beleihungswerte für die Objekte derart, dass private Häuslebauer bei Neubauten schnell in Schwierigkeiten kommen. Das trifft insbesondere für stark kreditfinanzierte Investments von Spekulanten zu. Sie werden in arge Schieflage geraten, sollte das Zinsniveau in absehbarer Zeit nicht wieder sinken. Das alles vor dem Hintergrund einer generellen Verteuerung auf der Gestehungsseite von im Schnitt 40Prozent. Diese Trends sollten aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass jeder „Nichtkäufer“ als potenzieller Mieter auf der Matte steht, denn trotz demographischer Überalterung erlebt unsere Gesellschaft unvermindert starken Zuwachs aus dem Ausland. Verfügbarer und bezahlbarer Wohnraum dürfte daher für alle ein knappes Gut bleiben.

Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck rechnet in diesem Jahr mit einem Wachstum von 0,4 Prozent, in 2024 soll das Bruttoinlandsprodukt dann um 1,6 Prozent zulegen. „Die deutsche Wirtschaft erweist sich nach der Corona-Krise auch in der Energiekrise als anpassungs- und widerstandsfähig“, sagte der Politiker bei der Vorstellung der Frühjahresprojektion der Bundesregierung.

Letztlich muss sich zeigen, ob die erhoffte Robustheit tatsächlich eintreten wird oder die proklamierten 1,6 Prozent Wachstum in 2024 nicht eher durch ein Kriegende in der Ukraine ermöglicht werden. Denn im Falle eines wie auch immer erlangten Friedens mit Russland wird für die EU eines der größten Investitionsprojekte nach der Jahrtausendwende erwachsen, die die Kosten für die Wiedervereinigung Deutschlands von 2 Billionen Euro bei weitem toppen wird. Beteiligung aus der privaten Wirtschaft wird es natürlich geben, um sich die Marktanteile auch im künftigen Beitrittsland frühzeitig zu sichern.

Bankenrettung in letzter Minute
Bleibt ein kritischer Blick auf die Zinslage und die Dynamik an den Kapitalmärkten. Es scheint, als haben Börsianer die aktuellen Probleme in der Finanzwirtschaft wissentlich ausgeblendet. Schon vier Banken wurden mehr als angezählt und doch noch in letzter Minute gerettet. Bislang hat es wohl noch kein größeres Institut getroffen. Der Fall Crédit Suisse wirft zwar viele Fragen auf, dennoch hat die Schweiz es mit einem bemerkenswerten Kraftakt geschafft, die Probleme „intern“ zu lösen. Nun fehlt nur noch die erneute Anhebung des amerikanischen Schuldenlimits und schon kann sich das Geldschöpfungsrad der Notenbanken wieder drehen.

Auch wenn in der aktuellen Gemengelage die ungezügelte Höherbewertung der Aktien verwundert, so zählt für diese Anlageklasse derzeit wohl folgender Satz: „Best place to be!“ – denn Aktien sind per se nicht ausfallgefährdet wie so mancher Bauträgerkredit und ein Dauerkursrisiko, wie bei den Anleihen, existiert auch nicht. Und dann gibt es im Hintergrund eine große, immerwährende Hoffnung: Ist die Spitze der Teuerung erst mal erreicht, wird es schon bald wieder segensreiche Zinssenkungen geben! Nach jahrelangen Nullrunden beginnen Investoren dann die Anleihe wieder als Renditeobjekt zu entdecken, auch wenn der Realzins noch weit im Abseits liegt.

Wirklich brauchbare Signale des Kapitalmarktes gibt es momentan nicht. Sollten sich die Zinsen für langlaufende EU-Staatsanleihen bei etwa 2,5 Prozent bis 3,5 Prozent einpendeln können, bleiben die Aktienkurse vermutlich hoch. Nur wenn die Verschuldungs-Hysterie noch weiter gehen sollte, werden Dividendenpapiere aus Risikosicht auch mal fallen müssen. Der Immobilienmarkt neigt zwar temporär zur Schwäche, wenn das neue Zinsniveau aber irgendwann seine Akzeptanz findet, werden zurückgestellte Projekte zähneknirschend umgesetzt. Bauen verursachte in der Finanzierungsphase schon immer Schmerzen, nur in der Vergangenheit konnte sich der Bauherr noch an steigenden Vermögenswerten erfreuen. Dieser geschenkte Bonus könnte für einige Jahre tatsächlich mal ausfallen. Mit dem Näherrücken der nächsten Wahlperiode werden unsere Parteien aber mit neuerlichen Investitionsanreizen auf den Plan kommen. Das garantiert wichtige Stimmen zur Wiederwahl und schafft neue Argumente in der einseitig verlaufenden Klimadebatte.


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