Die Wogen gingen hoch. Von Zensur war die Rede, von der Zerstörung des freien Internets. Doch nun hat die Reform des europäischen Urheberrechts eine entscheidende Hürde genommen: Am 26. März hat das EU-Parlament seine Zustimmung gegeben. Wir zeigen, welches die wichtigsten Änderungen sind und warum das neue Urheberrecht so umstritten ist.
Die letzte Anpassung der Urheberrechtsrichtlinie stammt aus dem Jahr 2001. Damals gab es in Deutschland bloß zwei Millionen DSL-Anschlüsse und die maximale Download-Geschwindigkeit lag bei 768 Kilobit pro Sekunde. Seither hat sich einiges verändert. Innovative Unternehmen wie Google und Facebook haben neue Geschäftsmodelle entwickelt, die auf der Nutzung von Daten Dritter beruhen. Unter diesen Daten befinden sich urheberrechtlich geschützte Werke oder Inhalte, die Teile von geschützten Werken enthalten. Obwohl die großen Internetkonzerne damit Milliarden verdienen, fällt für die Rechteinhaber und Urheber kaum etwas ab. Mit der neuen Urheberrechtsrichtlinie will die Europäische Union für eine gerechtere Verteilung der Einnahmen sorgen.
Upload-Filter statt Providerprivileg
Die wichtigste und gleichzeitig umstrittenste Änderung der Richtlinie steht in Artikel 17 (in früheren Fassungen war es Artikel 13). Er schafft das urheberrechtliche Haftungsprivileg für Content-Sharing-Plattformen wie YouTube und Facebook ab. Künftig müssen sich die Plattformbetreiber vor der Veröffentlichung nutzergenerierter Inhalte um die Einräumung allfälliger Lizenzen bemühen. Erhalten sie für ein geschütztes Werk keine Lizenz, sind sie verpflichtet, Content, der darauf beruht, „nach Maßgabe hoher branchenüblicher Standards für die berufliche Sorgfalt“ zu blockieren.
Worin die hohen branchenüblichen Standards bestehen, führt die Norm nicht aus. Auf jeden Fall reicht es nicht mehr, Inhalte wie heute auf Verlangen des Rechteinhabers zu löschen. Die meisten Juristen gehen davon aus, dass die Plattformbetreiber ihrer Sorgfaltspflicht nur durch die Verwendung eines Upload-Filters genügen. Solche Filter sind keine Produkte von der Stange. Die Implementierung von Content ID, dem Upload-Filter von YouTube, kostete Google nach eigenen Angaben mehr als 100 Millionen US-Dollar. Dass derart hohe Kosten das Budget kleiner und mittelgroßer Plattformen sprengen, versteht sich von selbst. Ihnen bleibt wohl nichts anderes übrig, als das Erkennen und Blockieren nicht lizenzierter Inhalte an einen Branchengiganten wie Google oder Facebook auszulagern.
Auch kleine Plattformen betroffen?
Wann genau ein Content-Sharing-Dienst unter die Vorgaben von Artikel 17 fällt, ist nicht restlos klar. Gemäß Legaldefinition will der Gesetzgeber kommerzielle Anbieter erfassen, deren Zielsetzung hauptsächlich in der Verbreitung nutzergenerierter Inhalte besteht. In den Erwägungen zur Urheberrechtsrichtlinie steht zudem, dass lediglich die wichtigen Content-Sharing-Plattformen gemeint sind. Daran mag der bekannte Kölner Medienanwalt Christian Solmecke allerdings nicht so recht glauben. Er befürchtet, dass auch kleinere Anbieter – beispielsweise die lizenzfreie Bilddatenbank piqs.de oder ein werbefinanziertes Anglerforum – betroffen sind.
Dafür spricht seiner Ansicht nach die eng definierte Befreiung für Start-ups. Sie gilt nämlich bloß für Unternehmen, die weniger als drei Jahre alt sind und bei einem Jahresumsatz von höchstens zehn Millionen Euro nicht mehr als fünf Millionen User pro Monat haben. Weitere Ausnahmen gibt es für E-Mail-Anbieter, Online-Enzyklopädien, Open-Source-Softwareplattformen wie SourceForge, Cloud-Dienste wie Dropbox und Online-Marktplätze wie Amazon oder eBay.
Möglicherweise wird die Suppe aber nicht so heiß gegessen, wie sie gekocht wurde. Die CDU hat angekündigt, dass sie bei der nationalen Umsetzung der Richtlinie auf Upload-Filter verzichten will. An deren Stelle soll eine gesetzlich verpflichtende Pauschallizenz treten. Sie wäre vergleichbar mit der Urheberrechtsabgabe für die Hersteller von Geräten und Speichermedien. Viele Rechtsexperten bezweifeln indes, dass die Pauschallizenz mit der Urheberrechtsrichtlinie vereinbar ist.
Leistungsschutzrecht für die Presse
Die zweite wichtige Änderung des neuen Urheberrechts ist das Leistungsschutzrecht für Presseverleger, das sich in Artikel 15 findet. Online-Diensten ist es in Zukunft verboten, ohne Erlaubnis des Verlags Ausschnitte aus Presseerzeugnissen zu veröffentlichen. Ausgenommen sind „sehr kurze Auszüge“ und Hyperlinks. Den Verlagshäusern ist es seit längerem ein Dorn im Auge, dass Google und Konsorten mit Textanrissen aus ihren Online-Artikeln durch Werbung Geld verdienen, ohne ihnen einen Cent abzuliefern.
Deutschland kennt darum bereits seit 2013 ein Leistungsschutzrecht. Gebracht hat es wenig. Aus Angst, von Google links liegen gelassen zu werden, gewährten die meisten Pressetitel der mächtigen Suchmaschine eine Gratislizenz. Ihre Angst ist begründet. Als Spanien ein Jahr nach Deutschland ebenfalls ein Leistungsschutzrecht einführte, schaltete Google kurzerhand die spanische Version von „Google News“ ab. Danach brach der Traffic bei spanischen Online-Medien ein. Die Verleger glauben jedoch, dass die gesamteuropäische Gültigkeit des Leistungsschutzrechts ihre Verhandlungsmacht gegenüber Google stärkt.
Heikel ist das Leistungsschutzrecht für kleinere Suchmaschinen, Portale und News-Aggregatoren. Einige werden es sich nicht leisten können, eine genügende Anzahl von Pressetiteln zu lizenzieren, um bei den Nutzern attraktiv zu bleiben. Damit besteht die Gefahr, dass das Leistungsschutzrecht die Marktmacht von Google weiter stärkt. Auch für Unternehmen, die kein News-Portal betreiben, hat das Leistungsschutzrecht Konsequenzen. Unter Umständen müssen sie Lizenzgebühren zahlen, wenn sie auf ihrer Website einen Pressespiegel in eigener Sache veröffentlichen. In Deutschland ist dies heute schon der Fall.
Data Mining erlaubt
Ein weiterer Punkt, den das neue Urheberrecht regelt, ist das Data Mining. Die EU-Kommission wollte in ihrem Entwurf einzig Forschungseinrichtungen die maschinelle Auswertung von geschützten Inhalten gestatten. Unternehmen hätten dafür eine spezielle Lizenz benötigt. Zum Glück wurde dies in der endgültigen Fassung geändert. Gemäß Artikel 4 der neuen Richtlinie ist das Data Mining bei urheberrechtlich geschützten Werken erlaubt, sofern der Rechteinhaber keinen Nutzungsvorbehalt vorsieht. Bei Online-Content muss der Nutzungsvorbehalt in maschinenlesbarer Form vorliegen. Data Mining ist zentral für Entwicklungen im Bereich der künstlichen Intelligenz. Das Erfordernis einer speziellen Lizenz hätte die europäische Industrie gegenüber ihrer asiatischen und amerikanischen Konkurrenz stark benachteiligt.
Insgesamt hinterlässt die Urheberrechtsreform einen zwiespältigen Eindruck. Eine neue Aufteilung der Einnahmen zwischen den mächtigen Tech-Konzernen und den Rechtinhabern ist dringend notwendig. Ob das Leistungsschutzrecht dieses Ziel erreicht, ist unklar. Beim Upload-Filter hingegen schießt die Reform über das Ziel hinaus und droht, der europäischen Internet-Branche zu schaden. Falls die EU-Mitgliedsstaaten der neuen Urheberrechtsrichtlinie zustimmen, ist deshalb zu hoffen, dass die Politiker bei der nationalen Umsetzung Augenmaß bewahren.