Zwischen dem Wareneinkauf für einen Auftrag und dem Eingang der Kundenzahlung vergeht oft lange Zeit. Gleichzeitig drängen die Lieferanten bei mittelständischen Unternehmen auf kurze Zahlungsfristen. Im folgenden Artikel zeigen wir Ihnen, wie Sie eine Finanzierungslücke vermeiden.
Die Schere öffnet sich weiter. Gemäß Creditreform konnten große Unternehmen die Zahlungsziele gegenüber ihren Lieferanten in der zweiten Hälfte des letzten Jahres auf mehr als 35 Tage ausbauen. Derweil sanken die Zahlungsfristen für kleine und mittlere Unternehmen auf 27 Tage. Mit knapp 37 Tagen sind die Forderungslaufzeiten bei mittelständischen Unternehmen um eine ganze Woche kürzer als bei Großunternehmen. Das Auseinanderdriften der Zahlungsbedingungen ist für den Mittelstand ein Problem.
Wenn wichtige Kunden immer längere Zahlungsfristen erwarten, die Zahlungsmodalitäten gegenüber den Lieferanten aber gleichzeitig restriktiver werden, setzt dies die Liquidität eines KMU unter Druck. Im schlimmsten Fall ist ein Mittelständler gezwungen, auf lukrative Aufträge zu verzichten, weil er nicht genügend flüssige Mittel für die Beschaffung der notwendigen Waren hat. Doch der Begriff „Auftragsverzicht“ gehört nicht zum Wortschatz eines engagierten Unternehmers. Probleme sind schließlich zum Lösen da!
Ein Lösungsansatz für das Problem mangelnder Liquidität ist die Waren- oder Einkaufsfinanzierung. Indem sie die Zahlungsziele beim Einkauf deutlich verlängert, sorgt die Warenfinanzierung für eine Liquiditätsüberbrückung bis zum Eingang der Kundenzahlung. Warenfinanzierungen eignen sich für alle Branchen, die mit hohen Warenbeständen arbeiten oder eine lange Vorlaufzeit bis zum Produktverkauf haben. Dazu gehören insbesondere:
der Groß- und Einzelhandel
das verarbeitende Gewerbe und die Industrie
Handwerksbetriebe
Es gibt drei verschiedene Arten der Warenfinanzierung:
Warenkredite
Der Warenkredit ist ein Kredit, der durch die eingekauften Waren besichert ist. Meist handelt es sich um eine Kreditlinie, die wiederholt in Anspruch genommen werden kann. Warenbesicherte Kredite lassen sich als Lagerkredite auch zur Nachfinanzierung bereits erworbener Güter verwenden.
Finetrading
Das Finetrading ist ein Dreiecksgeschäft. Zunächst verhandelt der Abnehmer mit seinem Lieferanten die Einkaufskonditionen. Anschließend schaltet sich der Finetrader als Zwischenhändler in das Geschäft ein. Er übernimmt die Waren zu den von seinem Kunden ausgehandelten Bedingungen und verkauft sie diesem weiter, wobei er das Zahlungsziel auf 90 bis 180 Tage verlängert. Die Warenlieferung geht direkt an den Abnehmer. Bis zur Bezahlung bleibt das Eigentum jedoch beim Finetrader. Der Finetrader begleicht die Rechnung des Lieferanten innerhalb der Skontofrist und profitiert dementsprechend von Vergünstigungen, die er seinem Kunden weiterreicht.
Reverse Factoring
Auch beim Reverse- oder Einkaufsfactoring kommt eine Dreiecksbeziehung zwischen Abnehmer, Lieferant und Finanzierer zustande. Letzterer übernimmt indes nicht die Rolle eines Zwischenhändlers, sondern kauft dem Lieferanten die Rechnungsforderungen gegenüber dem Abnehmer ab. Wie beim Finetrading erhält der Abnehmer ein langes Zahlungsziel, während der Finanzierer den Lieferanten sofort bezahlt und dadurch zugunsten seines Kunden Skonti und Rabatte erwirkt. Je nach vertraglicher Vereinbarung trägt der Factoringanbieter zudem das Delkredererisiko.
Die drei Varianten der Einkaufsfinanzierung haben unterschiedliche Vor- und Nachteile. Warenkredite haben den Vorzug, dass sich der Kapitalgeber nicht in das Verhältnis zwischen dem Finanzierungsnehmer und seinem Lieferanten einmischt. Allerdings haben sich die Banken seit Basel II aus dem Geschäft mit Waren- und Lagerkrediten immer mehr zurückgezogen. Bieten sie diese Kreditarten weiterhin an, stellen sie hohe Anforderungen an die Bonität des Kreditnehmers und nehmen beträchtliche Abschläge auf die Bewertung der finanzierten Waren vor. Häufig fordern sie zusätzliche Sicherheiten.
Teilweise sind Online-Banken in die von den klassischen Finanzinstituten hinterlassene Lücke gesprungen. Sie machen Warenkredite auch für kleine Unternehmen und Start-ups zugänglich, die von den etablierten Geldhäusern keine Finanzierung erhalten. Die Antragsprüfung dauert dank digitaler Prozesse kürzer und es sind weniger Unterlagen erforderlich. Bei den Lagerkrediten bringen Fintechs ebenfalls neuen Schwung in den Markt. Viele traditionelle Banken lehnen Lagerfinanzierungen mit dem Argument ab, die gelagerten Waren seien schwierig zu bewerten. Digitale Anbieter hingegen klinken sich in die Warenwirtschaftssoftware ihrer Kunden ein und können dadurch eine tagesaktuelle Bewertung der Lagerbestände vornehmen.
Im Gegensatz zu den Warenkrediten sind Finetrading und Reverse-Factoring bankenunabhängige Finanzierungslösungen. Es findet zwar eine Bonitätsprüfung statt. Doch die Finanzierer, die nicht den Basel-III-Richtlinien unterliegen, stellen in der Regel weniger hohe Anforderungen an die Eigenkapitalquote die Banken. Darüber hinaus verlangen sie – abgesehen von den finanzierten Waren – keine Sicherheiten. Beim Finetrading wird nur die Bonität des Finanzierungsnehmers geprüft, während beim Reverse-Factoring auch der Lieferant einer Prüfung unterzogen wird. Finetrading ist daher schneller zu implementieren. Es ist außerdem flexibler, da der Kunde selbst entscheiden kann, ob er einen bestimmten Einkauf über den Finanzierer abwickeln will. Beim Reverse-Factoring muss er bis zur Ausschöpfung des vereinbarten Limits sämtliche Wareneinkäufe über den Factoringanbieter tätigen.
Für mittelständische Unternehmen hat das Finetrading einen weiteren Vorteil: Es steht schon ab einem vergleichsweise geringen jährlichen Einkaufsvolumen von 100.000 Euro zur Verfügung. Das Reverse-Factoring dagegen erfordert in der Regel einen Mindestumsatz von 10 Millionen Euro. Dafür ist es sehr günstig: Die Finanzierungskosten liegen bloß ein bis drei Prozentpunkte über dem Euribor. Auch beim Finetrading halten sich die Kosten in Grenzen. Bei einem typischen Zahlungsziel von 120 Tagen machen sie je nach Kreditwürdigkeit und Einkaufsvolumen 1,5 bis 3 Prozent des Warenwerts aus.
Zahlt der Kunde innerhalb von 30 Tagen nach dem Kauf, sind die Finanzierungskosten nach Verrechnung mit den durch das Finetrading erwirkten Skonti und Rabatte zu vernachlässigen. Zumindest sind sie deutlich tiefer als bei einer Finanzierung mittels Kontokorrentkredit. Im Gegensatz zu einem Darlehen fällt keine Vorfälligkeitsentschädigung für eine frühzeitige Zahlung an. Ungünstiger sieht die Situation aus, wenn der Finanzierungsnehmer das vereinbarte Zahlungsziel überschreitet. In diesem Fall ist mit massiven Aufschlägen zu rechnen, die die Gesamtkosten der Finanzierung im Extremfall auf mehr als 20 Prozent des Warenwerts erhöhen. Sobald ein Unternehmen merkt, dass es die Zahlungsfrist nicht einhalten kann, sollte es deshalb eine Umschuldung prüfen.
Vorteile | Nachteile | |
Warenkredite | • kein Eingriff in die Vertragsbeziehung mit den Lieferanten • tiefe Finanzierungskosten | • hohe Bonitätsanforderungen • eventuell zusätzliche Sicherheiten erforderlich |
Finetrading | • bereits ab einem Einkaufsvolumen von 100.000 Euro erhältlich • keine Bonitätsprüfung der Lieferanten • Wahlfreiheit, ob Einkauf über Finetrader abgewickelt werden soll • keine zusätzlichen Sicherheiten erforderlich | • Kosten höher als bei Reverse-Factoring |
Reverse-Factoring | • tiefe Finanzierungskosten • keine zusätzlichen Sicherheiten erforderlich | • erst ab Einkaufsvolumen von 10 Mio. Euro verfügbar • Bonitätsprüfung bei Finanzierungsnehmer und Lieferanten • alle Einkäufe über Factor abzuwickeln |
Das Auseinanderdriften der Zahlungsziele großer und kleiner Unternehmen ist für das Liquiditätsmanagement im Mittelstand eine Herausforderung. Aufträge abzulehnen, weil die flüssigen Mittel für den Wareneinkauf fehlen, kommt indessen nicht infrage. Mit Warenkrediten, Finetrading und Reverse-Factoring existieren kostengünstige Finanzierungsinstrumente, die mittelständischen Industrie-, Handels- und Gewerbebetrieben erlauben, die Zeit zwischen Einkauf und Verkauf zu überbrücken. Warenfinanzierungen stärken überdies die Lieferbeziehungen. Denn die Lieferanten wissen, dass sie sich keine Sorgen um ihre Bezahlung machen müssen und sind darum bereit, dem Finanzierungsnehmer Vorzugskonditionen einzuräumen.
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