Wir befinden uns in der längsten Wachstumsphase seit der Wende. Doch an den Märkten haben sich erhebliche Risiken aufgebaut und die Banken sind schlecht für eine Krise gerüstet. Der Mittelstand sollte sich deshalb auf eine Kreditklemme vorbereiten.
„Dieses Mal ist alles anders.“ Mit diesen Worten, die gleichzeitig den Titel ihres Buches über 800 Jahre Krisengeschichte bilden, beschreiben die beiden Ökonomen Kenneth Rogoff und Carmen Reinhart die typische Stimmung vor einer Finanzkrise. Die meisten großen Finanzkrisen haben denn gemein, dass sie die Akteure aus Wirtschaft und Politik völlig unvorbereitet trafen.
Dieses Mal ist alles anders
Ein Beispiel dafür ist die große Depression der Dreißigerjahre. Noch wenige Tage vor dem auslösenden Börsencrash von 1929 behauptete Irving Fisher, damals einer der führenden amerikanischen Volkswirte, die Aktienkurse hätten ein dauerhaftes Hoch erreicht. Vor dem Platzen der Dotcom-Blase im März 2000 glaubten viele Anleger, die Internet-Wirtschaft habe eine „neue Ökonomie“ erschaffen, in der die Bäume in den Himmel wachsen. Die letzte Finanzkrise, die die Weltwirtschaft an den Rand einer Depression führte, traf die Märkte ebenfalls wie ein Blitz aus heiterem Himmel.
Heute, mehr als ein Jahrzehnt später, blicken wir auf die längste Aufschwungphase seit der Wiedervereinigungzurück. Da stellt sich die bange Frage: Sind wir einmal mehr vom „Dieses-Mal-ist-alles-anders“-Syndrom befallen? Die endgültige Antwort steht noch aus. Allerdings gibt es beunruhigende Anzeichen. In ihrem Finanzstabilitätsbericht 2018 warnt die Bundesbank: „Die Gefahr der systematischen Unterschätzung von Risiken gewinnt an Bedeutung.“ Es sind unter anderem drei Dinge, die den Währungshütern Sorge bereiten:
- die hohen Preise an den Finanz- und Immobilienmärkten,
- die tiefen Risikoprämien und
- die mangelnde Risikovorsorge der Finanzinstitute.
Preisblasen und unterschätzte Risiken
Durch Anleihekaufprogramme und Tiefzinsen gelang es der Europäischen Zentralbank, die Eurokrise zu beenden. Die währungspolitische Stimulation war freilich nicht überall in Europa gleichermaßen notwendig. In Deutschland, wo dieWirtschaft ohnehin gut ausgelastetwar, beflügelte das billige Geld vor allem die Vermögenspreise. So kam es während der letzten Jahre zu einer regelrechten Preisexplosion auf den Immobilienmärkten. In Hamburg, Frankfurt und Stuttgart verdoppelten sich die Preise für Wohneigentum zwischen 2008 und 2018. Spitzenreiter unter den deutschen Städten ist München: Dort stiegen die Quadratmeterpreise im selben Zeitraum um ganze 141 Prozent von knapp 3.000 Euro auf über 7.000 Euro. Die Bundesbank schätzte in ihrem Monatsbericht vom Februar 2018, dass städtische Immobilien in Deutschland um 15 bis 30 Prozent überbewertet sind.
Auch auf den Anleihemärkten sorgte die Geldpolitik der EZB für einen massiven Preisschub. David Folkerts-Landau, der Chefökonom der Deutschen Bank, spricht diesbezüglich von der „größten Blase in der Geschichte der Menschheit“. Den Marktteilnehmern scheinen die damit verbundenen Risiken indessen nicht bewusst zu sein: Die Preise von Credit Default Swaps für Unternehmens-Bonds liegen gemessen am Verschuldungsgrad der Unternehmen gegenwärtig unter dem langjährigen Mittelwert.
Kreditinstitute vernachlässigen Risikovorsorge
Historisch tiefe Zinsen, Preisblasen bei Vermögenswerten, die gleichzeitig als Sicherheiten für Kredite dienen, und sorglose Anleger: Es ist ein gefährlicher Mix, der sich da zusammenbraut. Sind wenigstens die Banken heute besser auf eine Krise vorbereitet als beim letzten Mal? Schließlich verlangen internationale Regelwerke wie Basel III und die CRD-IV-Richtlinie der EU von den Finanzinstituten ein dickeres Kapitalpolster, um krisenbedingte Verluste besser auffangen zu können.
Tatsächlich nahm das Kernkapital der Banken gemessen an den risikogewichteten Aktiven von unter 10 Prozent im Jahr 2008 auf 16,8 Prozent Mitte des letzten Jahres zu. Ein Teil der Zunahme lässt sich gemäß Finanzstabilitätsbericht allerdings damit erklären, dass die Geldinstitute im Kreditgeschäft ihre Risikovorsorge vernachlässigen. Gerade die Großbanken, die auf eigene Risikomodelle setzen, haben in den letzten Jahren deutlich geringere Wertberichtigungen und Abschreibungen vorgenommen als im langjährigen Mittel.
Dünne Eigenkapitaldecke trotz Basel III
Ein weiterer Grund für das Wachstum des risikogewichteten Kernkapitals besteht darin, dass die Banken ihr Kreditportfolio zugunsten von Krediten mit einem geringeren Risikogewicht umschichteten. Der Kreditzugang kleiner und mittlerer Unternehmen verschlechterte sich seither spürbar. Durch die Umschichtung wurden die Kreditrisiken zwar im Modell kleiner, nicht aber unbedingt in der Realität. Die Banken vergaben nämlich überdurchschnittlich viele Kredite an stark verschuldete Unternehmen mit hoher Zinsbelastung.
Es lohnt sich daher, einen Blick auf das ungewichtete Eigenkapital der Banken zu werfen. Mit bloß 4,5 Prozent der Bilanzsumme ist die Eigenkapitaldecke der acht wichtigsten deutschen Finanzinstitute, die am Stresstest der Europäischen Bankenaufsicht teilnahmen, erschreckend dünn. Kommt es zu einer Wirtschaftskrise, haben die Banken kaum Spielraum, Verluste und Abschreibungen durch Eigenkapital aufzufangen. Zum Schutz ihrer Bilanz sind sie rasch gezwungen, die Kreditvergabe einzuschränken, was die Krise noch verschärft.
Vorbereitung auf Kreditklemme: Finanzierungsportfolio diversifizieren
Bereits gibt es Hinweise auf eine Abkühlung der Wirtschaft. Während die Wirtschaftsleistung in den beiden vorangegangenen Jahren um je 2,2 Prozent zulegte, waren es 2018 nur noch 1,5 Prozent. Im dritten Quartal des letzten Jahres verzeichnete das deutsche Bruttoinlandsprodukt gar einen Verlust. Die Abkühlung ist ein Weckruf: Auch dieses Mal ist nicht alles anders! Die längste Wachstumsphase seit der Wiedervereinigung geht irgendwann zur Neige. Die Preisblasen an den Finanz- und Immobilienmärkten lassen befürchten, dass die Party der letzten Jahre in einem schweren Kater enden wird. Leider ist in diesem Fall von der Geld- und Fiskalpolitik keine große Unterstützung zu erwarten. Die meisten Länder der Eurozone kämpfen mit einer hohen Staatsverschuldung und der Leitzins der EZB liegt schon heute bei null Prozent.
Umso wichtiger ist es für den Mittelstand, sich rechtzeitig auf eine Krise und die damit verbundene Kreditklemme vorzubereiten. Dazu gehört die Erarbeitung einer krisentauglichen, breit aufgestellten Finanzierungsstrategie. Um die Abhängigkeit von Bankkrediten zu verringern, empfehlen sich insbesondere alternative Finanzierungsinstrumente wie Factoring, Warenfinanzierung und Leasing.