Mit seiner Kryptowährung will Facebook das Versprechen erfüllen, das der Bitcoin bisher nicht halten konnte: Sie soll den Zahlungsverkehr vereinfachen und Menschen ohne Bankkonto Zugang zum Finanzsystem gewähren. Hat der Libra das Potenzial dazu?
Viel wurde über Kryptowährungen diskutiert – vor allem, als der Bitcoin im Dezember 2017 fast die 20.000-Dollar-Marke knackte. Doch im Grunde blieb das digitale Geld ein Phänomen für Nerds. Das könnte sich ändern. Am 18. Juni gab Facebook bekannt, an einer eigenen Kryptowährung namens Libra zu arbeiten. Dank dem Libra sollen jene 1,7 Milliarden Menschen, die über kein Bankkonto verfügen, Zugang zum Finanzsystem erhalten. Gleichzeitig verfolgt Facebook das Ziel, Zahlungen zu vereinfachen und die Transaktionskosten zu senken.
Stabilität durch Reservehaltung
Diese Versprechen sind nicht neu. Zahlreiche Kryptowährungen verfolgen das Ziel, den Zahlungsverkehr zu verbessern. Bisher scheiterten sie indes an drei Problemen: einer mangelnden Nutzerbasis, hohen Wertschwankungen und einer beschränkten Transaktionskapazität des zugrunde liegenden Netzwerks. Das erste Problem besteht beim Libra offensichtlich nicht. Täglich nutzen weltweit mehr als zwei Milliarden Menschen die verschiedenen Facebook-Apps. Für die beiden anderen Probleme präsentiert Facebook eine Lösung. Zur Sicherung der Wertstabilität soll der Libra zu hundert Prozent durch eine Reserve aus stabilen Fiat-Währungen gedeckt sein. Das Geld, das die Nutzer in den Kauf neuer Libra-Coins investieren, wird auf Bankkonten deponiert oder in kurzfristigen Staatsanleihen angelegt.
Für eine genügende Transaktionskapazität sorgt die nicht-öffentliche Blockchain. Anders als beim Bitcoin können nicht alle Nutzer Transaktionen verarbeiten. Der Schreibzugriff auf die Blockchain steht nur den Mitgliedern eines Konsortiums – der Libra Association – zu. Auf komplexe Konsensalgorithmen, die die Anzahl Transaktionen pro Sekunde beschränken, kann das Libra-Netzwerk daher verzichten. Allerdings büßt es durch seine geschlossene Architektur einen entscheidenden Vorteil von Kryptowährungen ein: die Dezentralität. Darum stellen die Macher von Libra in Aussicht, das System innerhalb der nächsten fünf Jahre zu öffnen, sofern dies bis dahin ohne Performance-Verlust möglich ist.
Unabhängige Organisation für Libra verantwortlich
Entwicklung und Betrieb des Libra-Netzwerks obliegen der schon erwähnten Libra Association. Seine Kryptowährung an eine unabhängige Organisation auszulagern, ist ein geschickter Schachzug von Facebook. Denn der Internetkonzern leidet wegen seines laxen Umgangs mit dem Datenschutz unter einem erheblichen Reputationsverlust. Darüber hinaus verhelfen mehr beteiligte Unternehmen der Facebook-Währung zu mehr potenziellen Nutzern. Derzeit hat die Libra Association, ein Verein mit Sitz in Genf, 28 Mitglieder. Dazu gehören Finanzunternehmen wie Mastercard, Visa und PayPal, Internetplattformen wie eBay, Uber und Spotify, der Mobilfunkanbieter Vodafone sowie Venture-Kapitalisten und NGOs. Bis zum Start des Libra, der in der ersten Hälfte des nächsten Jahres erfolgen soll, will Facebook die Zahl der Vereinsmitglieder auf 100 erhöhen. Jedes Mitglied hat in Bezug auf die Zukunft des Facebook-Coins übrigens dasselbe Stimmrecht. Facebook besitzt keine Sonderrechte.
Das bedeutet natürlich nicht, dass der Social-Media-Gigant uneigennützig handelt. Mit Calibra arbeitet Facebook nämlich an einer eigenen Libra-Wallet, die zu einem festen Bestandteil von Whatsapp und Facebook Messenger werden soll. Angesichts der hohen Nutzerbasis der beiden Facebook-Produkte ist zu erwarten, dass Facebook den Löwenanteil des über das Libra-Netzwerk abgewickelten Zahlungsverkehrs kontrollieren wird.
Calibra: Datenschutz bei der Facebook-Wallet?
Kevin Weil, der bei Facebook für das Produktmanagement von Calibra verantwortlich ist, erklärt in einem Interview mit dem Tech-Magazin „The Verge“zwar, Peer-to-Peer-Überweisungen seien gratis. Auch die Gebühren für Händler deckten lediglich die Risiken von Betrug und Rückbelastungen ab. Facebook plant aber, auf dem Libra-Netzwerk verschiedene kostenpflichtige Dienstleistungen wie die Vergabe von Krediten aufzubauen. Außerdem erwartet der Internetkonzern, dass seine Kryptowährung den Online-Handel über seine Apps beflügelt, was zu einem größeren Werbevolumen führen würde. Zusätzliche Einnahmen verspricht sich Facebook aus seinem Anteil an der Rendite der Reserven, durch die der Libra gedeckt ist.
Keine Einnahmequelle sollen hingegen die Kundendaten sein. In seiner Medienmitteilung zu Calibra verspricht Facebook, Konto- und Finanzinformationen nicht ohne Zustimmung des Kunden zu Werbezwecken zu verwenden oder mit Dritten zu teilen. Kevin Weil betont auf Twitter, die Nutzerdaten von Calibra würden getrennt von den Kundendaten der anderen Facebook-Plattformen verwaltet.
Regulierungsbehörden gefordert
Dennoch dürften Datenschutzbedenken gegen Facebook das größte Hindernis für die Akzeptanz des Libra sein. Vorbehalte bezüglich der neuen Kryptowährung kommen auch von den Regulierungsbehörden. So fordert Bafin-Präsident Felix Hufeld für den Fall, dass Libra als Produkt abhebt, eine politisch-regulatorische Antwort. Er befürchtet, das Facebook-Geld werde die Währungs- und Fiskalpolitik der Staaten unterminieren. Eine weitere Sorge, die in Expertenkreisen diskutiert wird, gilt der Reservehaltung durch die Libra Association. Findet die virtuelle Währung Verbreitung, wird der Verein zu einem mächtigen Nachfrager nach kurzfristigen Staatsanleihen, der in der Lage ist, Regierungen unter Druck zu setzen. Befürchtungen bestehen überdies hinsichtlich der Umsetzung der Geldwäschebestimmungen. Das gilt umso mehr, als Facebook mit seiner Währung gezielt die 1,7 Millionen Menschen ohne Bankkonto anspricht. Die meisten von ihnen leben in Entwicklungsländern und haben keine amtlichen Dokumente, die eine eindeutige Identifizierung erlaubten.
Noch ist ungewiss, wie sich die Regulatoren gegenüber der Facebook-Währung positionieren werden. Nicht geklärt ist beispielsweise, ob Facebook und die anderen Mitglieder der Libra Association eine Bafin-Lizenz benötigen. Dass die Behörden das Libra-Projekt ganz verhindern werden, ist jedoch nicht zuletzt aufgrund der geballten Lobby-Macht der in der Libra Association vereinten Unternehmen wenig wahrscheinlich.
Vereinfachung von Kleinsttransaktionen und finanzielle Inklusion
Ohnehin wäre es falsch, ausschließlich auf die Risiken der Facebook-Währung zu fokussieren. Im Libra steckt erhebliches Potenzial. Tiefe Transaktionsgebühren könnten Kleinsttransaktionen, die heute wegen hoher Bank-, Kreditkarten- und Wechselkursgebühren unwirtschaftlich sind, attraktiver machen, was die Monetarisierung digitaler Dienstleistungen deutlich erleichtern würde. Es gibt beispielsweise Stimmen, die glauben, der Libra könne helfen, die Finanzierungsprobleme des Online-Journalismus zu lindern. Eine verbreitete, einfach zu nutzende Micropayment-Lösung würde zudem viele neue Online-Dienste überhaupt erst möglich machen.
Auch die finanzielle Inklusion von Menschen, die kein Bankkonto besitzen, aber Zugang zum Internet haben, verheißt interessante Perspektiven. Sie würde der Wirtschaft der Industriestaaten einen Markt mit über einer Milliarde potenziellen Abnehmern eröffnen. Gleichzeitig bekämen Unternehmer in den Entwicklungsländern die Chance, ihre Produkte ohne teuren Zwischenhandel auf dem Weltmarkt feilzubieten.
Es ist gut möglich, dass der Libra die von Facebook geschürten Hoffnungen nicht erfüllen wird. Immerhin leistet der Social-Media-Konzern mit seinem Projekt einen Beitrag, innovative Finanztechnologien wie die Blockchain einer breiten Öffentlichkeit vertraut zu machen. Dies wird Konkurrenten dazu inspirieren, sich ebenfalls im Fintech-Bereich zu engagieren. Weitere spannende Ansätze zur Verbesserung des Finanz- und Zahlungssystems sind deshalb bloß eine Frage der Zeit.