Kaum etwas hat stärkere Auswirkungen auf das Wirtschaftsgeschehen eines Staates, als wenn die Zentralbank ihren Leitzins verändert. Sie animiert Unternehmen als auch die Bevölkerung zur Kreditaufnahme oder zum Sparen und beeinflusst damit die Wirtschaft im jeweiligen Währungsgebiet massiv. Wie funktioniert das genau?
In jedem Währungsgebiet existiert eine Zentralbank, welche Bargeld in Umlauf bringt oder nach Verschleiß dem Geldkreislauf entzieht, an Regionalbanken Kredite vergibt und deren liquide Mittel (für einen positiven oder auch negativen Zinssatz) parkt und mit verschiedenen Instrumenten die Geldpolitik steuert.
Zu diesen Instrumenten gehören im Wesentlichen die Festlegung eines Leitzinses, der An- und Verkauf von Staats- und Unternehmensanleihen sowie der Devisenhandel.
Der Leitzinssatz ist derjenige Zinssatz, zu welchem sich Regionalbanken bei der Zentralbank Geld leihen können. Im Detail gibt es bei verschiedenen Zentralbanken mehrere Leitzinssätze – bei der Europäischen Zentralbank sind es der Einlagesatz sowie der Haupt– und Spitzenrefinanzierungssatz. Allgemein kommuniziert (weil hauptsächlich maßgebend) wird der Hauptrefinanzierungssatz, der seit dem 10.03.2016 bei 0,00 % liegt.
Der Leitzins ist das wichtigste Instrument der geldpolitischen Steuerung, weil damit das Kreditwesen und das Sparverhalten unmittelbar zu steuern sind. Auch kleinere Veränderungen des Leitzinssatzes haben oft große wirtschaftliche Auswirkungen, da sie Kredite mehr oder weniger teuer und Spareinlagen mehr oder weniger lohnenswert machen.
Die regionalen Geschäftsbanken müssen ihre eigene Kreditvergabe und die Ausschüttung von Zinsen auf Spareinlagen an den Leitzins anpassen.
Eine Zentralbank senkt aus zwei maßgebenden Gründen den Leitzinssatz: Entweder wegen einer zu starken Inflation oder aufgrund einer zu schwachen Konjunktur.
Hohe Leitzinsen machen das Wirtschaftsgeschehen teurer, was die Inflation zwangsläufig anheizt, sie senken oft auch die Investitionsbereitschaft von Unternehmen. Diese können die Kredite für ihre Geschäftstätigkeit nur noch teuer aufnehmen.
Auf der anderen Seite fördern hohe Leitzinsen das Sparverhalten vor allem von Privatleuten, weil sich Sparen augenscheinlich lohnt. Das ist nicht unbedingt immer richtig, da die Sparzinsen der Inflation gegenübergestellt werden müssen, doch rein optisch entscheidet sich ein Mensch eher für eine Sparanlage, wenn sie ihm drei bis fünf Prozent Zinsen bringt (anstelle der aktuellen 0,2 bis 1,8 %).
Bei einer hohen Inflation von über zwei Prozent wäre ein Sparzins von 3,0 % gar nicht besser als der Zinssatz von 1,8 % bei einer Inflation von 0,8 % – aber so genau rechnet kaum jemand nach.
Die Zentralbank kann daher auch den Leitzins aus der Motivation heraus absenken, das enorme Sparvermögen von Bürgern und Unternehmen abzuschmelzen. Wenn dieses Geld statt auf Konten zu liegen, in den Wirtschaftskreislauf fließt, wird die Konjunktur belebt.
Sinkende Leitzinsen können die Regionalbanken in Form günstiger Kredite an die Unternehmen weitergeben. Sie sind dazu allerdings nicht verpflichtet und verhalten sich auch nicht immer so.
Ein bemerkenswertes Beispiel lieferten spanische Banken, die in den 2010er Jahren oft bei hohen Zinsen für Geschäftskredite, trotz sinkender EZB-Leitzinsen, blieben und damit teilweise die spanische Wirtschaft abwürgten.
Im Normalfall werden aber die Kreditzinsen durch einen sinkenden Leitzins ebenfalls gesenkt, was zur Folge hat, dass die Wirtschaft angekurbelt wird.
Häuslebauer etwa entschließen sich bei einem sehr niedrigen Hypothekenzinssatz um einiges schneller zur Kreditaufnahme. Auch sparen die Bürger und Unternehmen weniger, weil es sich wegen sinkender Sparzinsen weniger lohnt oder – wie oben bereits erwähnt – zu lohnen scheint. Dieses Geld gelangt zusätzlich in den Geldkreislauf und belebt die Konjunktur.
Wenn eine Leitzinssenkung die eigene Währung abwertet, was häufig zu beobachten ist, werden zusätzlich exportierte Waren für Kunden in anderen Währungsgebieten billiger und damit die Exportwirtschaft gefördert. Die Wirtschaftsbelebung sollte zu einem höheren Geldkreislauf, steigenden Löhnen und steigenden Preisen führen – die Inflation zieht an.
Mit einer Leitzinserhöhung wirkt eine Zentralbank im Wesentlichen einer zu starken Inflation und einer überhitzten Konjunktur entgegen.
Um diese mögliche Überhitzung zu beurteilen, nutzen die Zentralbanken verschiedene Kennziffern. Die US-amerikanische Fed etwa orientiert sich sehr stark an der Arbeitslosenquote.
Sollten die Preise und die Löhne zu stark steigen, ist eine Erhöhung des Leitzinssatzes ein probates Mittel, um die anziehende Inflation zu bekämpfen.
Darüber hinaus gibt es weitere geldpolitische Mittel von Zentralbanken, etwa die Rücknahme eines vorherigen QE-Programms (Quantitative Easing = Anleiheaufkäufe).
Durch die restriktivere Geldpolitik mit steigenden Leitzinsen sinkt in der Regel die Inflation durch eine bestimmte Wirkungskette. Für die Kreditinstitute wird die Geldaufnahme bei der Zentralbank teurer. Sie vergeben daher auch die Kredite an Unternehmen und Verbraucher zu höheren Zinsen.
Die Kredite werden damit unattraktiver, die Investitionsbereitschaft und der Konsum auf Kredit sinken. Das Sparen lohnt sich wieder mehr, weil die Guthabenzinsen steigen. Weil die Nachfrage nach Produkten sinkt, können die Anbieter die Preise kaum noch erhöhen, die Inflation sinkt.
Eine Veränderung des Leitzinssatzes hat auch Auswirkungen auf die Aktienmärkte. Bei sehr billigem Geld spekulieren Anleger teilweise auf Kredit, die Aktienkurse steigen dadurch. Das macht Aktienanlagen sehr viel attraktiver als Sparanlagen.
Bei höheren Leitzinsen verpufft dieser Effekt sehr schnell. Schon die Ankündigung einer Leitzinserhöhung kann die Aktienmärkte auf Talfahrt schicken – so geschehen im Februar 2018, als die Fed-Verantwortlichen relativ deutlich ihre Pläne zu einer strafferen Geldpolitik kommunizierten. Allein schon die positiven Daten vom Arbeitsmarkt, an denen sich die Fed orientiert, bewirkten einen kleinen Crash in den wichtigen US-Indizes, der auch auf andere Börsen überall auf der Welt durchschlug.