Alarmsignale aus der deutschen Wirtschaft

Blick aus der Frauenkirche
25. Juli 2023

Weiter steigende Zinsen, schlechtere Geschäftserwartungen, ein Schock auf dem Immobilienmarkt – die deutsche Wirtschaft hat mit einer schwierigen Gemengelage zu kämpfen

Frauenkirche München

Die deutsche Wirtschaft hat seit Ausbruch und Bewältigung der Coronakrise mit neuen Bürden zu kämpfen. Hatte man anfangs mit einer Rückkehr der Kauflaune und diversen Nachholeffekten aus der Bevölkerung gerechnet, so standen den erhofften Mehreinnahmen der Unternehmen die Teuerungsschübe der deutschen Energiepolitik und der dramatische Zinsanstieg seit 2022 im Wege. Die gleichzeitige Verteuerung des täglichen Lebens gepaart von Zukunftsängsten über den eigenen Job und die dahinschmelzende Altersvorsorge führt Deutschland trotz fehlender Fachkräfte an jeder Ecke an den Rand einer Rezession. Inflation ist zwar laut volkswirtschaftlicher Theorie dazu angetan, Gelder auf Konten zu verbrauchen, denn es könnte ja noch teurer werden. Doch in Deutschland regiert das sogenannte „Angstsparen“. So zeigen sich die Einkaufsmanager hierzulande wenig optimistisch, der S&P Global Einkaufsmanager-Index sinkt im Juni-Wert auf 48,3 nach 50,3 im Mai. Auch der ifo-Geschäftsklimaindex tendiert im Juni mit 87,3 Punkten weiter abwärts.

Deutsche Produkte immer weniger konkurrenzfähig

Durch die volkswirtschaftliche Brille betrachtet, verdeutlicht sich eine bislang paradox anmutende Situation, die in der Geschichte ihres Gleichen sucht. Denn die Wirtschaft in unserem Land ist von mehreren Belastungen gleichzeitig betroffen, die eine ausgefeilte Industriepolitik erfordern würde, um die eingeschlagenen Trends in eine Umkehrung zu erzwingen. Aber es passiert das Gegenteil: Die einseitig klima-orientierte Regelungswut aus Berlin bringt den breiten Mittelstand in unerwartete Anpassungszwänge auf der Kostenseite, die zu einer weiteren Verteuerung auf der Güterseite führt. Wäre die Umsatz- und Gewinntätigkeit hoch, ließen sich viele Maßnahmen wohl stemmen, doch die externen Schocks führen einerseits zu dramatisch steigenden Preisen für Rohstoffe und Vorprodukte, andererseits belasten die durch Inflation und Lohnsteigerung getriebenen Arbeitskosten jegliche Inputkalkulation. Die Verteuerung der Produktion lässt sich am Destatis Index der Erzeugerpreise mit Zuwächsen von bis zu 45 Prozent in 2023 ablesen. In dieser Kausalkette liegt die große Bürde: Deutsche Produkte verlieren ihre Konkurrenzfähigkeit! Das gefährliche Szenario der „Kosten-Preis-Spirale“ ist somit etabliert. Die inländische Konsumentwicklung tendiert seit Januar 2022 nach unten.

Insgesamt zeigt die noch vor Monaten erwartete Stagflation nun eher rezessive Züge, die den Staat unüberhörbar dazu aufruft, sowohl die Kaufkraft als auch die Angebotsseite zu stärken. Die Doppelaufgabe, Steuern und Abgaben zu senken sowie Wachstum und Innovationen zu fördern, wird den Staatshaushalt belasten, ist aber nötig, um den Standort Deutschland wieder attraktiver zu machen. Aktuell obsiegt die Wahrnehmung, dass in Berlin ein Wettkampf ausgebrochen ist, Gesetze zu beschließen, die zum aktuellen Zeitpunkt weder auf Akzeptanz noch auf Finanzierungsfähigkeit stoßen. Die jüngsten ökonomischen Trends münden daher auch in einen Stimmungsumschwung in der Bevölkerung. In Deutschland gibt es mittlerweile eine breite Unzufriedenheit der demokratischen Mitte, welche zu befürchten hat, dass die mit harter Arbeit aufgebaute Lebensleistung weder für die eigene Altersvorsorge noch für nachfolgende Generationen über die Zeit gerettet werden kann. Anstatt in wichtigen Themen an einem Strang zu ziehen, spaltet sich die Gesellschaft immer mehr. Das macht uns nicht nur in Europa zum „kranken Mann“, wir drohen auch international den Anschluss zu verlieren.

Größter Preisschub seit 50 Jahren

Es wäre zu einfach, alle negativen Effekte auf die russische Invasion der Ukraine zu schieben. Nein, die größten Teuerungsschübe sind bislang hausgemacht. So führte die sukzessive Erhöhung von Steuern und Abgaben gepaart von explodierenden Lebenshaltungskosten zum Zusammenschmelzen der verfügbaren Einkommen. Besonders schlägt der Faktor Transport und Logistik mit über 30 Prozent auf die Preise in den Regalen durch. Europa erlebt so einen der historisch größten Preisschübe bei lebensnotwendigen Gütern seit der Energiekrise in den 70er-Jahren. Die notwendige Anhebung der Mindestlöhne hilft zwar den unteren Lohngruppen in der Bewältigung ihrer neuen Lebenssituation, gleichzeitig führt sie aber auch im Gast- und Dienstleistungsgewerbe zu weiteren Preisanpassungen nach oben. Lebensmittel und hier vor allem die energieintensiven Backwaren haben sich binnen zwei Jahren zwischen 30 und 70 Prozent verteuert, über einen Zeitraum von fünf Jahren sogar verdoppelt.

Nur durch eine geschickte Ausgestaltung des Warenkorbs kann die Kernrate des Preisanstiegs noch im einstelligen Bereich gehalten werden. Bezieht man die Energie- und Lebensmittelpreise in die Zählung mit ein, so können die längst gefallenen Öl- und Gaspreise den dramatischen Anstieg anderer Komponenten nicht mal mehr kompensieren. Da die Teuerungsrate derzeit meilenweit vom Zielkorridor der EZB entfernt ist, befindet sich die Notenbank in der Klemme, einerseits weiter an der Zinsschraube drehen zu müssen, anderseits ein weiteres Abgleiten der Wirtschaft zu verhindern. Medial wird das Sinken der Inflation von 10,7 Prozent im Oktober auf mittlerweile 6,1 Prozent im Mai sogar gefeiert, obwohl das durch die erhöhte Basis seit Februar 2022 eine weitere, durchgängige Teuerung für das Euro-System bedeutet.

Schock auf dem Immobilienmarkt

Ein großer Verlierer im derzeitigen Umfeld ist das Bau- und Immobiliengewerbe. Hier haben sich alle Parameter verschlechtert. Hohe Zinsen, anziehende Gestehungskosten, Handwerkermangel und Verkaufswillige treffen auf einen nur noch in Teilen funktionierenden Markt. Die höchsten Immobilienpreise in Deutschland ließen sich historisch im Herbst 2021 feststellen. So hatte sich der durchschnittliche Neubau-Quadratmeterpreis einer 70-qm-Wohnung in guter Citylage seit der Jahrtausendwende von etwa 2500 auf 8500 EUR verteuert, in München, Hamburg und Stuttgart stand sogar die Marke von 10.000 EUR auf dem Angebotsschild. Der Immobilien-Markt ist derzeit in einer Schocksituation, denn die Vorstellungen von Verkäufer und Käufer liegen teils 25 Prozent auseinander. Das führt zu sehr geringen Umsätzen und belastet auch den vorgelagerten Banken- und Maklersektor. Für Bevölkerungsschichten mittleren Einkommens ist der Erwerb eines Eigenheims ohne Erbe faktisch unmöglich geworden. Es damit auch unklar, wie sich ein neues Gleichgewicht herstellen lässt. Derzeit befindet sich der Käufer klar im Vorteil, denn er hat Zeit, die ein verschuldeter Projektentwickler eben nicht mehr hat.

Ein Blick über den Atlantik macht derzeit wenig Hoffnung. Die Ausgabenfreudigkeit der US-Regierung führt zu einem Erstarken des Euros gegenüber dem US-Dollar, was für die extrem verteuerten Waren aus dem Euroraum zu einem weiteren Wettbewerbsnachteil im internationalen Handel führt. Bis zur Jahresmitte konnte der Euro bislang um über 10 Prozent zum US-Dollar zulegen, zum Jahreswechsel gab es noch große Panik wegen der erreichten Parität der beiden Reservewährungen. Es fühlt sich so an, als hätten die USA nur noch auf die Aussetzung des Schuldenlimits gewartet, um der aufgestauten Ausgabenflut endlich die Schleusen zu öffnen. Im Hintergrund steigen die Staatschulden weiter dramatisch an und die Zinslasten werden die Vorhaben der Regierung in den kommenden Jahren immer weiter einschränken. Die US-Regierung hat im letzten Monat nach Anhebung der Schuldenbremse knapp 1 Billion US-Dollar neue Schulden gemacht. Kein Wunder, denn die Versprechungen von Präsident Joe Biden sind üppig. Klimaschutz, Energiesicherheit, Infrastruktur sowie günstige Medikamente für Senioren und Zuschüsse zur Krankenversicherung – das alles sind Punkte des Inflation Reduction Act (IRA), dem Gesetz zur Reduzierung der Inflation. Joe Biden möchte noch in seiner Amtszeit als Wegbereiter der klimaneutralen Entwicklung der US-Wirtschaft gelten. Wichtig, denn die USA verbraucht mit nur 5 Prozent der Weltbevölkerung ganze 40 Prozent aller Energie weltweit und hat somit auch den größten Fußabdruck in der Klimaerwärmung.

Was muss in Europa passieren, damit die Wirtschaft wieder in Gang kommt? Ein Ende der Zinserhöhungen würde den Außenwert des Euros schmälern und zu steigender, internationaler Wirtschaftsaktivität führen. Gleichzeitig müssen die Binnenfaktoren wieder auf eine gesunde Basis gestellt werden, damit auch die eigene Bevölkerung wieder ausgabenfreudiger wird. Dazu wäre die Senkung von Abgaben und Steuern nötig. Für besonders zukunftsorientierte Projekte wie z.B. Klimaschutz, Infrastruktur oder Bildung sollten Subventionen oder steuerliche Anreize geschaffen werden. Aktuelle Einschränkungen bei der Kreditvergabe wirken toxisch auf das Wachstum unserer Volkswirtschaft. Die erwartete Gesundung Chinas wird ab Herbst zu einer leichten Stabilisierung der exportlastigen deutschen Wirtschaft führen. Im vergangenen Jahr flossen mehr als 100 Milliarden Euro Direktinvestitionen ins Ausland, als umgekehrt in Deutschland investiert wurden. Allein dieser Punkt sollte Berlin signalisieren, wie es um den Standort Deutschland bestellt ist – die Zeit drängt!


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