Die Wirtschaft steht unter Druck: Automobilkrise, politische Fehlentscheidungen und sinkende Investitionen gefährden den Standort. Ist eine Wende möglich?
Von André Will-Laudien
So schlecht war die Stimmung in Deutschland wohl selten. Das Ruder herumreißen – nur wie? Ein ganzes Potpourri an Belastungen strömt auf die Gesellschaft ein, dass nun sogar die Konjunktur sichtlich erlahmt. Der ifo-Geschäftsklimaindex fiel im August auf ein neues Tief von 86,6 Punkten, vor allem die aktuelle Lage wird deutlich schlechter bewertet. Zudem fielen die Erwartungen an die Zukunft deutlich pessimistischer aus. Aus Mangel an positiven Nachrichten orientiert sich der Bürger an der allgemeinen Nachrichtenlage. So zeigen die Kriegsherde in der Ukraine und Nahost keinerlei Zeichen von Waffenstillständen, im Gegenteil, aktuell eskaliert die Situation von Woche zu Woche. Wichtige Themen für den Standort Deutschland bleiben weiterhin offen, nun gesellen sich auch noch ungelöste Haushaltsthemen hinzu. Was den Ökonomen dabei wirklich vor den Kopf schlägt, ist die fast unverfrorene Erwartung der Bundesregierung, dass die aktuell rückläufigen Steuereinnahmen sich in 2025 wieder signifikant nach oben bewegen werden. Was für eine Ignoranz und gefährliche Missinterpretation der Lage!
Zur Klarstellung: Ein schwaches Wirtschaftswachstum äußert sich in erster Linie in niedrigeren Steuer-Budgets. Krisenähnliche Zustände wie in der deutschen Automobilindustrie erfordern jetzt auch noch hohe Anpassungs- und Restrukturierungskosten, die z.B. bei VW unvermittelt zu einer Gewinnhalbierung führen könnten. In einer gewachsenen Tarif- und Vertragsstruktur wie es in Wolfsburg der Fall ist, wären sämtliche Anpassungsversuche in erster Linie Wasser auf die Mühlen der Betriebsräte und Gewerkschaften, welche die Bänder durch Arbeitskämpfe vollkommen zum Stillstand zu bringen würden. Die aktuelle Verlautbarung bis zu 30.000 Mitarbeiter freisetzen zu wollen, ist daher zeitlich nur schwer eingrenzbar. Das proklamierte Sparziel von 10 Mrd. EUR wird sich daher erst nach Abfindung der verlustigen Arbeitsplätze und einer Restrukturierung der Standorte einstellen. Denn immerhin müssen Arbeiten umgelagert werden, eventuell sind an anderer Stelle sogar Neuinvestitionen nötig. Für 2024 und 2025 sind im Fall von VW somit erhebliche Steuereffekte zu erwarten. Es kriselt aber quer durch die Industrie.
Ein weiteres gutes Beispiel liefert die „Causa Intel“. Der in 2023 verkündete Investitions-Deal mit Intel in Sachsen-Anhalt, schloss Fördergelder von 10 Mrd. EUR für ein Gesamtprojektvolumen über 30 Mrd. EUR ein. Dabei sollten 3.000 hochqualifizierte Arbeitsplätze entstehen. Doch, wie kann man aus der Subvention eines neuen Arbeitsplatzes in Höhe von 1 Mio. EUR für Gesamtdeutschland unter dem Strich ein positives Ergebnis errechnen? Auch wird mithin unterstellt, dass die benötigten Spezialkräfte für die Chipfertigung tatsächlich zur Verfügung stehen. Die Rezepte des „Facharbeiterimports“ alla Berlin kennen wir nach knapp 10-jähriger Anwendung seit 2015 zur Genüge. Ein aktueller Zustandsbericht zum Ergebnis dieses Projekts kann unter rational denkenden Menschen nur lauten: „Eine desaströse Themaverfehlung!“ Zum Glück erreicht uns die Nachricht, dass das Projekt sich um mindestens 2 bis 3 Jahre verschieben wird, wenn es denn überhaupt noch kommt. Denn der Initiator Intel selbst steckt selbst in einer tiefen Krise.
Pat Gelsinger, seit 2021 der CEO des Chip-Giganten, hat ein umfassendes Paket neuer Initiativen in die Wege geleitet, um den Chipkonzern umzukrempeln. Mehrere Herausforderungen in Bezug auf Produktion und Strategie haben dazu geführt, dass das Unternehmen weit von seinen historischen Höhen entfernt ist. Die Bundesregierung verschafft sich damit einen unerwarteten Haushaltsspielraum über 10 Mrd. EUR, über die man nun neu befinden kann. Das Haushaltsloch 2025 war nach der letzten Debatte mit 12 Mrd. EUR taxiert worden. Auch in der Politik gibt es Ereignisse, die sich im Nachhinein als gute Fügung erweisen. Selbst ifo-Präsident Clemens Fuest bezeichnete die ausgerufenen Subventionen für die Ansiedlung von HighTech in Magdeburg als „fragwürdig“.
Eigentlich müssten die Kapitalmärkte bei so viel Unsicherheit in Tristesse verfallen, doch geschickt getimte Notenbankmaßnahmen feuern den unter Volldampf stehenden Kessel noch etwas weiter an. Nach einer weiteren Anpassung der EZB, die auf etwas niedriger als erwartete Inflationszahlen folgte, setzte die US Federal Reserve noch eine Schippe drauf. Sie senkte zum ersten Mal nach 4 Jahren um ganze 0,5 Prozentpunkte auf den neuen Stand von 4,75 bis 5,00 Prozent. Bisher ist der Fed zwar der Drahtseilakt gelungen, die Inflation mit ihrer Hochzinspolitik in den Griff zu bekommen, ohne die Wirtschaft zu sehr auszubremsen. Doch jüngste Daten deuten darauf hin, dass der Arbeitsmarkt zu schwächeln beginnt. Das hinderte die Kapitalmärkte jedoch nicht daran, zumindest im DAX-40 Index Stände über 19.000 Punkte zu erklimmen. Ob die Höherbewertung der Aktien über die dringendsten ökonomischen Probleme Europas hinweghelfen, muss hingegen angezweifelt werden.
Denn die Stimmung in der deutschen Wirtschaft ist gerade im Mittelstand alles andere als himmelhochjauchzend. Dringend notwendige Investitionen in Infrastruktur, Digitalisierung und Bürokratieabbau fallen anderen Haushaltsthemen zum Opfer und werden hintenangestellt. Zwar gibt es immer wieder Verlautbarungen ein „Deutsches Wachstumspaket“ auf den Weg zu bringen, doch aktuell scheint es nicht einmal möglich, die Industriestrompreise auf ein wettbewerbsfähiges Niveau zu drücken. Wer die Innovationskraft im eigenen Land halten möchte, muss industriepolitische Ansiedlungsanreize schaffen, die sich aus vielen aufeinander abgestimmten Komponenten zusammensetzen. Neben aktiver Steuer-Anreize sollten z.B. die Hochschulen viel stärker an die Industrie angebunden werden, um engsten Kontakt zu Talenten egal welcher Herkunft aufbauen und für den hiesigen Arbeitsmarkt sichern zu können.
Das Potenzial unserer guten Ausbildungsstätten wird nicht im Sinne von Wachstum und Prosperität für unser Land genutzt, den viele Absolventen gehen nach ihren Studien ins aussichtsreichere Ausland. Staaten wie die USA, Kanada oder Australien machen es vor, wie gelenkte Zuwanderung funktionieren kann. Gut ausgebildete Nachwuchskräfte und Studenten erhalten über private Stipendien entsprechende Förderungen, um sich den ausländischen Standort während der Abschlusszeit auch leisten zu können. Ist das Diplom oder der Master erstmal absolviert, kann ein nahtloser Übergang in die ortansässige Industrie stattfinden. Nach einigen Jahren ist die neue Fachkraft gesellschaftlich voll integriert und in der eigenen Wirtschaft untergebracht. Ab dann sorgen die anfallenden Steuern für eine Refinanzierung der zuvor erhaltenen Fördermittel. Ein Kreislauf, der Wachstum erzeugt und die Ökonomie nachhaltig stärkt. Was in Deutschland passiert, gleicht hingegen einem Raubbau an volkswirtschaftlichen Vermögenswerten, die sich seit dem Krieg aufgebaut haben. Dass Industrieunternehmen wie BASF und VW mittlerweile Milliardeninvestitionen im Ausland tätigen, lässt sich argumentatorisch mit dem Passus „Wir investieren dort, wo unsere Kunden sind!“ gut verkaufen. In Wahrheit ist es die geistige Abkehr vom Standort Deutschland. Der ressourcenintensive Aufbau von Industriekompetenz in den Zielstaaten wird dabei in Kauf genommen, um langfristige von besseren Rahmenbedingungen zu profitieren.
Richten wir den Blick über den Atlantik, dann rückt der US-Wahltermin im November in den Fokus. Nach den ersten verbalen Fernsehschlachten zwischen der Vertreterin der demokratischen Partei Kamala Harris und dem designierten Republikaner und ex-Präsident Donald Trump könnte es einen sehr heißen Wahlkampf bis ins Weiße Haus geben. Die Analyse der vergangenen Amtszeit Trumps im Vergleich zur demokratischen Führung durch Joe Biden lässt schlussfolgern, dass die internationalen Beziehungen sich positiver mit einer Demokratin gestalten ließen. Viele national gefärbte Äußerungen Trumps lassen hingegen eine harte Gangart selbst im Umgang mit langjährigen Partnern erwarten und stellen auch die Ukrainehilfen der EU in ein schwieriges Licht. Mitunter zeigt auch die US-Konjunktur trotz Beheimatung der Schlüsseltechnologien eine signifikante Verlangsamung ihres Wachstums an, was im Wahlkampf viel Fingerspitzengefühl für wirtschaftliche Themen erfordert.
Während Silicon Valley stabile Absatzmärkte im Ausland adressiert, brauchen die Menschen in den großen Weiten des Landes einen Hoffnungsträger für die Lösung eher innenpolitisch gearteter Themen. Wie auch immer die Tendenzen sich entwickeln sollten, auch in den USA ist die Gesellschaft gepalten wie nie. Die Kluft zwischen arm und reich ist besonders ausgeprägt, da die sprudelnden Kapitalmärkte eine Zweiklassengesellschaft entstehen haben lassen. Während einer der reichsten Menschen der Welt, Warren Buffet, sich öffentlich wundert, warum er nur wenige hunderttausend Dollar Steuern bezahlt, leben landesweit ganze 70 Millionen Menschen von sozialen Leistungen. Die Staatsverschuldung hat so mittlerweile den offiziellen Stand von über 35 Billionen USD erreicht.
Der nun beginnende weltweite Zins-Senkungs-Zyklus macht aber Hoffnung, dass dringende Investitionsprojekte wieder in den Fokus rücken. Niedrigere Finanzierungskosten sollten auch die Immobilienmärkte wieder in Gang setzen. Wenn sich über die positiven Lohn-Effekte, kontrollierte Teuerung und verbindlicherer Innenpolitik die Stimmung auch für den Konsumenten dreht, klappt es vielleicht auch für die deutsche Konjunktur bis Mitte 2025 die Kurve zu bekommen. Die Skepsis der Bürger gegenüber aktuellen politischen Entscheidungen hat z.B. bei Wärmepumpen und der E-Mobilität mit über 70 % Umsatzrückgang zum defacto Marktstillstand geführt.Die noch regierenden Akteure sind also dringend aufgerufen, die großen Unsicherheiten zu beseitigen, Steuern zielorientiert zu investieren und den Fokus von peripheren Themen auf die innere Stärke Deutschlands zu lenken. Im Ergebnis muss der Ausverkauf unserer Volkswirtschaft und die Abwanderung von industriellen Kernkompetenzen schnellstens gestoppt werden. Die Zeit drängt.