Mit seiner resoluten Tiefzinspolitik machte sich Mario Draghi in Deutschland keine Freunde. Nun hat Christine Lagarde bei der Europäischen Zentralbank das Ruder übernommen. Kommt es unter ihrer Führung zu einem Kurswechsel?
Christine Lagarde ist eine beeindruckende Persönlichkeit. Als 15-Jährige gewann sie Bronze bei den französischen Meisterschaften im Synchronschwimmen. Die Rechtsanwältin verfügt über Master-Abschlüsse in amerikanischer Literatur, Economics and Finance und Wirtschaftsrecht. Lagarde war die erste Frau, die Baker McKenzie, eine der größten Anwaltskanzleien der USA, leitete. Obwohl nie zuvor als Ökonomin tätig, übernahm die ehemalige französische Finanzministerin 2011 den Vorsitz des Internationalen Währungsfonds. Seit dem 1. November steht sie an der Spitze der Europäischen Zentralbank. Wie bereits bei Baker McKenzie und beim Währungsfonds entstammt Lagarde bei der EZB nicht dem innersten Machtzirkel. Wird sie als Außenstehende frischen Wind in die europäische Währungspolitik bringen?
„Untergrenze bei den Zinsen nicht erreicht“
Erste Anhaltspunkte bietet ihre Befragung durch den Wirtschafts- und Währungsausschuss des Europaparlaments anlässlich ihrer Nominierung. In ihren schriftlichen Antworten bezeichnet Lagarde die Währungspolitik der EZB als „wirksam und erfolgreich“. Sie stützt sich dabei auf Berechnungen, dass Wachstum und Inflation in der Eurozone zwischen 2016 und 2020 1,9 Prozentpunkte tiefer ausgefallen wären, hätte die Notenbank ab 2014 nicht beherzt gehandelt. Dementsprechend sieht Lagarde keinen Grund für eine Änderung. Das Wachstum habe sich verlangsamt, die Risiken hätten zugenommen und die Inflation sei nach wie vor tief. Folglich müsse die Geldpolitik in absehbarer Zukunft locker bleiben. „Ich glaube nicht, dass die EZB die Untergrenze bei den Zinsen bereits erreicht hat“, antwortet die Französin auf eine entsprechende Frage der EU-Parlamentarier. Sie ist sich indessen bewusst, dass das aktuelle Zinsumfeld Risiken für die Banken und die Stabilität der Finanzmärkte birgt. Deshalb plädiert sie für eine enge Überwachung des Finanzsystems.
Kein Kurswechsel
Lagardes Antworten machen klar: Unter ihr wird es keinen abrupten Kurswechsel geben. Die neue Notenbankchefin hat auch gar keine andere Wahl. Denn die Tiefzinsstrategie und die wieder aufgenommenen Anleihenkäufe sind nicht bloß einer Laune ihres Vorgängers entsprungen. Vielmehr sind sie in den historisch bedingten Eigenheiten der Währungsunion begründet. Die Eurozone umfasst Länder mit ganz unterschiedlichen Wirtschaftskulturen. Der Norden setzt auf vergleichsweise liberale Märkte, die sich innerhalb eines klar definierten Ordnungsrahmens bewegen. Die Wirtschaftspolitik der südeuropäischen Länder ist deutlich protektionistischer. Dadurch entstandene Wettbewerbsnachteile glichen die südlichen Volkswirtschaften in der Vergangenheit durch höhere Inflationsraten und durch die Abwertung ihrer Währungen aus. Doch dieser Weg ist ihnen seit der Einführung des Euros versperrt.
Mangelnde Konvergenz
Wirtschaftliche Divergenzen existieren auch zwischen den Regionen eines Staates. Dort werden sie allerdings durch eine gemeinsame Wirtschaftspolitik und durch Fiskaltransfers abgemildert. Die Gründungsväter der Gemeinschaftswährung waren sich dieses Unterschieds bewusst. Sie glaubten aber, dass spätere Krisen die Euromitglieder automatisch zu einer stärkeren Koordinierung ihrer Wirtschaftspolitik veranlassen würden. Unter den meisten deutschen Ökonomen stieß die unter dem Begriff „Lokomotivtheorie“ bekannte These auf Skepsis. Sie vertraten die sogenannte „Krönungstheorie“. Ihrer Meinung nach sollte die Währungsunion der Abschluss – gleichsam die Krönung – eines politischen Integrationsprozesses sein, nicht dessen Beginn. So warnte Otmar Issing, der damalige Chefvolkswirt der Bundesbank, 1996 in einem Spiegel-Interview: „Die Währungsunion als Schrittmacher der politischen Union einsetzen zu wollen, heißt das Pferd am Schwanze aufzäumen. Das kann nicht funktionieren.“
Leider sollte Issing recht behalten. Selbst die Eurokrise brachte die Mitglieder der Währungsgemeinschaft nicht dazu, ihre Wirtschafts- und Fiskalpolitik stärker zu koordinieren. Hätte die Europäische Zentralbank ihr Mandat nicht weit interpretiert und unkonventionelle Maßnahmen ergriffen, die mit dem Verbot der monetären Staatsfinanzierung schwer vereinbar waren, wäre die Eurozone wohl auseinandergebrochen. Die lockere Geldpolitik verbesserte die Situation in den südeuropäischen Volkswirtschaften spürbar. Indes blieben die grundlegenden Divergenzen bestehen. Beispielsweise hatte Spanien letzten September eine Arbeitslosenquote von 14,2 Prozent, während in Deutschland nur 3,1 Prozent der arbeitsfähigen Bevölkerung auf Jobsuche waren. Italien hatte 2018 mit 131 Prozent der Wirtschaftsleistung mehr als doppelt so hohe Staatsschulden wie die Bundesrepublik. Beim Wirtschaftswachstum zeigen sich ebenfalls deutliche Unterschiede.
Zinsen weiterhin auf Rekordtief
Solange sich die wirtschaftliche Situation der Länder in der Währungsunion nicht stärker annähert, kann die EZB den währungspolitischen Ausnahmezustand nicht beenden, ohne eine neue Eurokrise zu riskieren. Daran kann auch Christine Lagarde – so beeindruckend ihr Lebenslauf ist – nichts ändern. Ihr bleibt keine andere Wahl, als die Geldpolitik ihres Vorgängers weiterzuführen. Für die deutsche Wirtschaft ist dies sowohl eine gute als auch eine schlechte Nachricht. Die gute Nachricht zuerst: Die Zinsen werden noch längere Zeit auf dem heutigen Rekordtief verharren. Unternehmensdarlehen und Kreditlinien bleiben mithin selbst für Unternehmen mit schlechter Bonität erschwinglich. Das billige Geld wird jedoch – das ist die schlechte Nachricht – die heute schon bestehenden Ungleichgewichte an den Kapital- und Immobilienmärkten weiter verstärken. Dies birgt, wie Lagarde zu Recht festgestellt hat, ein Risiko für die Finanzstabilität. Ob die EZB das Risiko durch makroprudenzielle Maßnahmen vollständig in den Griff bekommen wird, steht in den Sternen.
Gefahr einer Finanzkrise
Das bedeutet: Eine Wiederholung der Finanzkrise von 2008 lässt sich nicht ausschließen. Mittelständische Unternehmen sind darum gut beraten, sich trotz niedriger Kreditzinsen nicht von den Banken abhängig zu machen. Besser ist es, die Unternehmensfinanzierung möglichst breit abzustützen. Schließlich sind dank des aktuellen Zinsumfelds auch alternative Finanzierungslösungen wie Factoring, Leasing oder Finetrading äußerst günstig. Zudem lohnt es sich, im Hinblick auf künftige Krisen das Eigenkapital zu stärken. Ein kosteneffizienter Weg, die Eigenkapitalquote zu verbessern, ohne die Anteile der bestehenden Gesellschafter zu verwässern, ist die Aufnahme von Mezzanine-Kapital.
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