Mit der Kapitalmarktunion will Europa die Finanzierungsmöglichkeiten des Mittelstands verbessern. Als Vorbild dienen die hoch entwickelten Kapitalmärkte der USA. Doch finanzieren sich amerikanische KMU tatsächlich am Markt?
Als der heutige Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker in seiner Kandidatenrede vor dem EU-Parlament die Schaffung einer Kapitalmarktunion vorschlug, befand sich Europa mitten in der Krise. Die Integration der europäischen Kapitalmärkte, so die Hoffnung damals, würde der Wirtschaft zu neuem Wachstum verhelfen. Vor allem sollte sie die Kapitalbeschaffung für kleine und mittlere Unternehmen vergünstigen und deren Abhängigkeit vom Bankensystem verringern. Inzwischen ist die Krise überwunden und die Umsetzung der Kapitalmarktunion weit fortgeschritten.
Ein grundlegender Wandel in der Mittelstandsfinanzierung ist indes nicht in Sicht. Das Fremdkapital deutscher KMU besteht weiterhin zu mehr als der Hälfte aus Bankkrediten. Derweil fristet der Markt für Mittelstandsanleihen nach diversen Pleiten ein Mauerblümchendasein. Wird sich dies ändern oder bleibt die Kapitalmarktfinanzierung des Mittelstands eine Illusion? Die endgültige Antwort werden wir erst in einigen Jahren kennen. Zwischenzeitlich lohnt es sich aber, einen Blick über den großen Teich zu werfen.
Die USA sind das Land der Kapitalmärkte schlechthin. Gemäß einer Studie des europäischen Sparkassenverbandes ESBG stammen 69 Prozent des Kapitals amerikanischer Unternehmen von den Märkten. In Deutschland sind es bloß 43 Prozent. Dafür ist das Bankensystem in den Vereinigten Staaten sehr viel kleiner als das europäische. Während die aggregierte Bilanzsumme der Banken in der Eurozone die jährliche Wirtschaftsleistung um mehr als das Anderthalbfache übersteigt, kommen die US-Finanzinstitute nur auf 90 Prozent des amerikanischen Bruttoinlandsproduktes.
Interessanterweise ist von diesen Größenunterschieden bei der Mittelstandsfinanzierung wenig zu sehen. Die ESBG-Studie zeigt, dass über 87 Prozent der amerikanischen Mittelständler für eine Firmengründung oder Geschäftsübernahme eine Bankfinanzierung beanspruchen. Auch die Mittel für Wachstumsinvestitionen besorgen sich fast 65 Prozent der US-Firmen mit weniger als 500 Angestellten bei den Banken. Gewöhnungsbedürftig ist allerdings, dass die Hälfte davon ihre Investitionen über Kartenkredite finanziert. Noch eine überraschende Erkenntnis: Trotz des fortschrittlichen Venture-Capital-Marktes in den USA greift weniger als ein Prozent der amerikanischen KMU für die Finanzierung seiner Investitionsausgaben auf Risikokapital zurück.
Weniger überraschend ist der hohe Stellenwert der Innenfinanzierung. 31 Prozent der US-Mittelständler stemmen Wachstumsinvestitionen und Kapitalverbesserungen aus eigener Kraft. Amerikanische KMU arbeiten überdies mit deutlich mehr Eigenkapital als ihre europäischen Pendants. Unternehmen, die nicht als Aktiengesellschaft organisiert sind, verfügen derzeit über eine Eigenkapitalquote von 62 Prozent. Damit ist das Verhältnis ihrer Eigenmittel zur Bilanzsumme doppelt so hoch wie bei deutschen KMU.
Der Bond- und Aktienmarkt hat für den amerikanischen Mittelstand hingegen eine untergeordnete Bedeutung. Anders als in Deutschland existieren keine weniger streng reglementierten Börsensegmente für Mittelstandsanleihen. Das Platzieren einer Unternehmensanleihe lohnt sich deshalb erst ab einem Volumen von 100 Millionen Dollar. Überhaupt fällt auf, dass kleine und mittlere Unternehmen an den amerikanischen Börsen eine geringere Rolle spielen als in Europa. So sind 85 Prozent der an deutschen Aktienmärkten gelisteten Unternehmen Small- und Mid-Caps, in den Vereinigten Staaten sind es lediglich 62 Prozent.
Der Blick über den Atlantik zeigt: Selbst ein gut ausgebauter Kapitalmarkt garantiert kleinen und mittleren Unternehmen keinen optimalen Zugang. Natürlich lassen sich die Beobachtungen aus den USA nicht eins zu eins auf Europa übertragen. Zu unterschiedlich sind die wirtschaftlichen, rechtlichen und kulturellen Rahmenbedingungen. Die Hoffnung, dass die Kapitalmarktunion den deutschen KMU längerfristig zu besseren Finanzierungsbedingungen verhilft, bleibt daher bestehen.
Bis es so weit ist, ist der Mittelstand den Banken jedoch nicht auf Gedeih und Verderb ausgeliefert. Im Gegenteil. Bereits heute existieren Finanzierungsalternativen, die es kleinen und mittleren Unternehmen erlauben, ihre Finanzierung auf verschiedene Standbeine zu verteilen. Dazu gehören insbesondere Factoring, Leasing und Warenfinanzierung.
Durch das Factoring verstetigt das Unternehmen seinen Cashflow und schützt sich vor Zahlungsausfällen. Außerdem erhöht der Forderungsverkauf die Eigenkapitalquote, ohne dass dafür ein Investitionsverzicht notwendig ist. Das Leasing von Immobilien, Fahrzeugen, Maschinen oder IT-Systemen führt ebenfalls zu einer Bilanzverbesserung. Davon abgesehen hilft es, die Unternehmensinfrastruktur laufend à jour zu halten. Die Warenfinanzierung verhindert, dass es zu Liquiditätsengpässen kommt, weil das Unternehmen für den Kauf von Rohmaterialien oder Halbfabrikaten in Vorleistung gehen muss. Dadurch erhält der Unternehmer nicht zuletzt mehr Flexibilität bei der Wahl des günstigsten Kaufzeitpunktes.