"Kein Spielraum für Investitionen"

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29. Juli 2024

Im Interview mit Finanzierung.com fordert DEHOGA-Präsidentin Angela Inselkammer mehr Unterstützung für Gastronomen und Hoteliers und warnt vor den Folgen von Nachwuchsmangel und Überregulierung

Dehoga-Präsidentin Angela Inselkammer

Finanzierung.com: Frau Inselkammer, die Corona-Pandemie hat die Branche schwer getroffen. Wie hat sich die Situation für Hoteliers und Gastwirte seitdem entwickelt? Gibt es bleibende Auswirkungen, die die Branche weiterhin beeinflussen? 

Angela Inselkammer: Die Corona-Pandemie hat unsere Branche in der Tat stark getroffen und nachhaltige Spuren hinterlassen. Viele Betriebe mussten nach der Pandemie immense Anstrengungen unternehmen, um sich zu erholen. Dies betraf sowohl den Wiederaufbau der finanziellen Basis als auch die Anpassung an neue betriebliche Anforderungen.

Insbesondere bedingt durch enorme Preisanstiege bei Energie, Wareneinsatz und Personalkosten sowie Kosten, die aus der Coronapandemie stammen, mussten viele Betriebe ihre Preise anpassen. Das – sowie auch steigende Kosten bei den Gästen selbst – führte wiederum zu einem zögerlichen Konsumverhalten.

Ganz besonders hat die Erhöhung der Mehrwertsteuer auf Speisen von 7 Prozent auf 19 Prozent die Wirte zusätzlich finanziell massiv unter Druck gesetzt. Das wirtschaftliche Überleben vieler Betriebe ist daher vielerorts nicht gesichert. Eine geschlossene Gastwirtschaft hat jedoch nicht nur für die Mitarbeiter weitreichende Folgen: Es fehlt an sozialen Treffpunkten, es droht der Verlust von Kultur, Tradition und Brauchtum und damit Lebensqualität und die Attraktivität der Kommune für Touristen und Einheimische.

Nachhaltigkeit wird immer wichtiger, auch in der Hotellerie und Gastronomie. Welche Maßnahmen setzen bayerische Betriebe um, um nachhaltiger zu arbeiten? Gibt es Beispiele von Best Practices?

Inselkammer: Das bayerische Gastgewerbe ist durch und durch nachhaltig: Die Produkte kommen direkt aus der Region und belegen eine tiefe Verbundenheit mit den Erzeugern, ob Landwirte, Bäcker oder Metzger. Kleinbetriebe werden in profitable Wirtschaftskreisläufe eingebunden.

Nachhaltigkeit heißt auch: Gerade das Wirtshaus als der Treffpunkt im Dorf hilft beim Erhalt von Tradition und Heimatpflege. Es ist ein Ort der Begegnung für Freunde, Verbände, Kollegen und gleichzeitig Erlebnisraum für Feste. Ein wichtiger Eckpfeiler für die Lebensqualität in einer Region. Und schließlich bietet das Gastgewerbe sowohl Arbeits- als auch Ausbildungsplätze, ein wichtiger Aspekt, besonders in strukturschwachen Regionen.

Das Gastgewerbe ist in besonderem Maße auf nachhaltiges Wirtschaften und eine intakte Umwelt angewiesen. Daher stehen Umwelt- und Klimaschutz in Hotellerie und Gastronomie seit vielen Jahren ganz oben auf der Agenda.

"Arbeitszeiten flexibler handhaben"

Der Fachkräftemangel ist ein großes Thema in der Branche. Welche Strategien und Initiativen verfolgt der DEHOGA Bayern, um dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken?

Inselkammer: Grundsätzlich ist die Branche wie alle Mensch-zu-Mensch-Berufe sehr personalintensiv. Um auf denselben Umsatz wie der Einzelhandel zu kommen, benötigt man z.B. im Gastgewerbe sechsmal so viele Mitarbeiter. Das Thema ausreichende Mitarbeiter für die Branche zu sichern ist deshalb eine große Herausforderung.

Angesichts des demografischen Wandels haben wir schon lange keinen Arbeitgebermarkt mehr, sondern einen Arbeitnehmermarkt. Im Kampf gegen den Fachkräftemangel sind folgende Themenpunkte besonders wichtig:

  1. Seit Jahren fordern wir für die Branche eine Flexibilisierung der Arbeitszeiten im Rahmen einer Wochenarbeitszeit. EU-Richtlinien sehen wesentlich liberalere Höchstarbeitszeiten vor. Es geht dabei nicht um Mehrarbeit oder das Nichteinhalten von Ruhezeiten, sondern um mehr Flexibilität, damit Betriebe im rechtlichen Rahmen agieren können.

  2. Faires Gehalt, Tarif und Sachleistungen, bezogen auf die einzelnen Mitarbeiter. Im Gastgewerbe wird inzwischen sehr gut bezahlt. Azubis erhalten Löhne zwischen 1000 und 1200 Euro plus freie Kost, Getränke und oft kostengünstige Unterkunft. Köche bekommt man nur noch bei übertariflicher Bezahlung. Wichtig sind auch Sachleistungen wie gutes, freies Essen und Getränke sowie bezahlte Weiterbildungen, die in der Branche ansteigen.

  3.  Emotionale Heimat: Nach Corona ist es wichtig, dass der Chef Vertrauen und Sicherheit vermittelt. Mitarbeitergespräche sind hier von großer Bedeutung. Vorbildfunktion bedeutet nicht, fehlerlos zu sein, aber Versprechen müssen zuverlässig eingehalten werden.

  4. Nachhaltigkeit im Bereich Umwelt, Soziales und Wirtschaft: Mitarbeiter, besonders junge, wollen in einem Betrieb lernen und arbeiten, in denen sie tagtäglich eine Verantwortung und Umsetzung der Nachhaltigkeit erleben. Mit der Kampagne „Gastgeber der Zukunft“ wirbt der Verband auf Social-Media-Kanälen um junge Auszubildende und Fachkräfte. Auch frühere Mitarbeiter werden aktiv kontaktiert und es werden ihnen Karrieremöglichkeiten und Fortbildungen angeboten. Zusätzlich engagieren sich 120 gastgewerbliche Ausbildungsbotschafter verstärkt in Schulen und bieten kurzfristige Schnupperpraktika an.

"Kein finanzieller Spielraum für Digitalisierung"

Wie wichtig ist die Digitalisierung für die Hotellerie und Gastronomie geworden? Welche Technologien setzen bayerische Betriebe ein, um ihre Prozesse zu optimieren und die Gästezufriedenheit zu steigern?

Inselkammer: Reserviert, gebucht, bezahlt und bewertet wird in Deutschland zunehmend online: ob im Hotel, in gastronomischen Betrieben, auf Messen, Kongressen oder anderen Events.

In der Tat halten technische, elektronische und softwaregestützte Innovationen vielfältige interessante Möglichkeiten für die Unternehmer bereit. Dennoch: Trotz aller Service-Roboter-Innovationen ist und bleibt der persönliche Service am Gast Dreh- und Angelpunkt. Dieses Credo gilt weiterhin, davon sind wir überzeugt.

Bei einer Umfrage unter bayerischen Hoteliers gab die Mehrheit der Befragten an, im kommenden Jahr Investitionen im Bereich Digitalisierung zu tätigen. Bei den Gastronomen hingegen wurden in hohem Maße geplante Investitionen aufgrund der Mehrwertsteuererhöhung auf Eis gelegt.

"Unverhältnismäßige Auflagen und Dokumentationspflichten"

Viele Unternehmer klagen über hohe bürokratische Hürden und Regulierungen. Welche Forderungen haben Sie an die Politik, um die Rahmenbedingungen für die Hotellerie und Gastronomie zu verbessern?

Inselkammer: Mittelständische Betriebe müssen wirksam vor bürokratischen Überbelastungen geschützt werden. Zu oft werden Vorschriften für wenige aber öffentlichkeitswirksame Problemfälle entwickelt, dann aber ohne Unterschied auf alle Betriebe – vom Ein-Mann-Betrieb bis zum multinationalen Konzern – angewandt. Dies benachteiligt insbesondere die klein- und mittelständischen Betriebe des Gastgewerbes und Handwerks. Zudem fordern wir die Reduzierung von Auflagen und Dokumentationspflichten. Das bayerische Gastgewerbe bekennt sich kompromisslos zur Einhaltung der strengen gesetzlichen Lebensmittelhygieneregelungen. Dennoch ist das Gastgewerbe immer wieder konfrontiert mit unnötigen Vorschlägen zu Ampeln, Smileys, Internetprangern und ähnliche vermeintlichen Transparenzsystemen. Dieser unverhältnismäßige Eingriff in die unternehmerische Freiheit muss aufhören. Konkret fordern wir Bürokratie wirksam abzubauen, Auflagen und Dokumentationspflichten zu reduzieren und keine zusätzlichen rein ideologischen Auflagen zu schaffen.

Finanzierungslösungen für Gastronomen und Hoteliers

Bei Finanzierung.com bieten wir umfassende Finanzierungslösungen für Gastronomen und Hoteliers, um Ihre finanziellen Herausforderungen zu meistern und Wachstum zu fördern. Unser Angebot umfasst Prolongationen und Neufinanzierungen sowie alternative Finanzierungsarten wie Versicherungsfinanzierungen und Leasing – auch rückwirkend. Darüber hinaus ermöglichen wir durch den Verkauf von Assets via Sale-and-Lease-Back für Gastronomen eine schnelle Liquiditätsbeschaffung. Mit unseren maßgeschneiderten Finanzierungsmodellen unterstützen wir Hoteliers und Gastronomen bei Modernisierungen, Erweiterungen, Digitalisierung und nachhaltigen Investitionen.

Der DEHOGA fordert eine Senkung der Mehrwertsteuer auf Speisen und Getränke auf sieben Prozent. Welche Auswirkungen hätte diese Maßnahme Ihrer Meinung nach auf die Branche?

Inselkammer: Wir wollen eine steuerliche Gleichbehandlung von Speisen und Getränken – egal, ob sie im Lokal oder außerhalb verzehrt werden. Darüber hinaus sorgen Energie- und Lebensmittelpreise sowie steigende Personalkosten für einen enormen Kostendruck in den Betrieben. Der inflationsbedingte Kostendruck stellt die Gastronomen erneut vor existenzielle Herausforderungen. Die Kosten für Nahrungsmittel und Personal machen in den meisten Betrieben bereits 60 bis 70 Prozent des Umsatzes aus, die Energiekosten 4 Prozent bis 10 Prozent. Nur mit den 7 Prozent Mehrwertsteuer gelingt es den Betrieben, die enormen Kostensteigerungen nicht eins zu eins an die Gäste weiterzugeben und böte den derzeit ausbleibenden Spielraum für Investitionen.

Welche Finanzierungslösungen und Förderprogramme sind derzeit für Hoteliers und Gastwirte besonders relevant? Wie unterstützt der DEHOGA Bayern ihre Mitglieder in finanziellen Fragen?

Inselkammer: Generell bräuchten wir die Wiederauflage des Gaststättenmodernisierungsprogramms. Hier könnte der Staat die zusätzlich durch die Erhöhung der Mehrwertsteuer gewonnenen Einnahmen gezielt zur Stärkung der Branche, und aufgrund deren Funktion als regionaler Wirtschaftsmotor, zur Stärkung der Region einsetzen. Ansonsten unterstützen wir unsere Mitglieder individuell durch die Angebote unserer Partnerfirmen sowie unsere Bayerische Bürgschaftsbank.

Abschließend, wie sehen Sie die Zukunft der bayerischen Hotellerie und Gastronomie? Welche Chancen und Risiken erkennen Sie und worauf sollten sich Betriebe in den nächsten Jahren fokussieren?

Inselkammer: Die Zukunft der bayerischen Hotellerie und Gastronomie sehe ich mit einer Mischung aus Optimismus und Vorsicht. Unsere Branche hat in den letzten Jahren zahlreiche Herausforderungen gemeistert. Aus diesem Grund bin ich zuversichtlich, dass die bayerische Hotellerie und Gastronomie auch in Zukunft erfolgreich sein wird, wenn sie flexibel und innovativ auf die kommenden Herausforderungen reagiert und die sich bietenden Chancen konsequent nutzt. Der DEHOGA Bayern kämpft weiterhin für die Branche.

Zur Person

Angela Inselkammer wurde 1958 geboren und wuchs in Höhenkirchen auf. 1977 heiratete sie Franz Inselkammer und unterstützte ihren Mann, der die Ayinger Brauerei leitete, bei der Buchhaltung und Personalführung. Angela Inselkammer absolvierte eine Hotelfachfrauenausbildung und leitet heute zusammen mit ihrem Mann den Brauereigasthof Hotel Aying in sechster Generation. Seit 2016 ist Inselkammer Präsidentin des Bayerischen Hotel- und Gaststättenverbandes. Foto: Eleana Hegerich


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