Spätestens seit den Kurssprüngen des letzten Jahres stehen Kryptowährungen im Fokus der Öffentlichkeit. Doch wie ist das virtuelle Geld einzustufen? Handelt es sich um einen kurzfristigen Hype, der ebenso schnell verschwindet, wie er gekommen ist? Oder stehen wir am Anfang einer Revolution, die das Wirtschaftsleben nachhaltig verändern wird?
Jamie Dimon, der CEO von JP Morgan Chase brachte es an einer Investorenkonferenz auf den Punkt: „Bitcoin ist Betrug.“ Der Krypto-Boom sei schlimmer als die Tulpenblase in den Niederlanden des 17. Jahrhunderts. Am Ende werde der Bitcoin seinen ganzen Wert verlieren. Joseph Stiglitz, ehemaliger Weltbankchef und Nobelpreisträger, forderte gegenüber Bloomberg TV gar ein Verbot des Bitcoin. Er bringe keinen sozialen Nutzen und sei bloß darum erfolgreich, weil er nicht reguliert sei und eine Umgehung der Gesetze erlaube.
Kryptografie statt Vertrauen
Die geballte Ablehnung aus den Schaltzentralen des herkömmlichen Finanzsystems verwundert nicht. Denn Kryptowährungen wollen nichts weniger, als dieses ersetzen. Nicht mehr das Vertrauen in Institutionen soll für das Funktionieren des Geldes ausschlaggebend sein, sondern die Kryptografie. Satoshi Nakamoto, der bis heute unbekannt gebliebene Erfinder des Bitcoins, war der Meinung, Zentral- und Geschäftsbanken hätten das in sie gesetzte Vertrauen nicht verdient. In der Währungsgeschichte sei es immer wieder zu Entwertungen gekommen und die Banken sorgten regelmäßig für Kreditblasen. Nakamoto äußerte seine Kritik am traditionellen Finanzsystem vor fast zehn Jahren, mitten in der Finanzkrise. Sein Vorschlag eines auf Kryptografie basierenden Peer-to-Peer-Zahlungsmittels stieß auf fruchtbaren Boden: Mittlerweile existieren über 7.000 Kryptowährungen. Wird eine davon unser herkömmliches Geld ablösen?
Kryptowährungen sind (noch) kein Geld
Bevor wir die Frage beantworten, müssen wir uns vergegenwärtigen, was wir unter Geld verstehen. Geld hat im Wesentlichen drei Funktionen: Es dient als allgemein akzeptiertes Tauschmittel, als Recheneinheit und als Wertspeicher. Zurzeit erfüllt noch keine der bestehenden Kryptowährungen diese Funktionen. Die Marktkapitalisierung des Bitcoins ist zwar größer als die Geldmenge M1 des Vereinigten Königreichs. Es gibt indes erst wenige Unternehmen, die Bitcoin-Zahlungen akzeptieren. Das Branchenportal BTC-Echo listet für Deutschland, Österreich und die Schweiz zusammen lediglich 416 Bitcoin-Akzeptanzstellen auf. Die wilden Fluktuationen des Bitcoin-Kurses – im laufenden Jahr schwankte er zwischen 17.500 und etwas mehr als 6.000 US-Dollar – beeinträchtigen zudem dessen Funktion als Wertspeicher und Recheneinheit. Der Wert des Bitcoins speist sich mithin nicht aus seiner aktuellen Geldfunktion, sondern aus der Erwartung, dass er diese oder eine andere Funktion in Zukunft übernehmen wird.
Staaten werden ihr Währungsmonopol verteidigen
Allerdings werden die Staaten ihr Währungsmonopol kaum kampflos aufgeben. Denn es ermöglicht ihnen nicht nur, die Seigniorage, den Gewinn, der bei der Geldschöpfung entsteht, einzustreichen. Das Währungsmonopol gestattet ihnen auch, sich zu wesentlich günstigeren Bedingungen zu verschulden, als dies auf einem freien Markt möglich wäre. Vor allem aber gibt das Währungsmonopol den Staaten ein mächtiges Werkzeug zur Steuerung der Wirtschaft in die Hand. Es versetzt sie in die Lage, Inflation zu bekämpfen und im Krisenfall das Wachstum anzukurbeln.
Im Moment fristen die Kryptowährungen ein Nischendasein. Das durchschnittliche Handelsvolumen des Bitcoin liegt unter fünf Milliarden US-Dollar pro Tag. Zum Vergleich: Auf dem Devisenmarkt wechselten im April 2016 gemäß einer Studie der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich täglich Währungen im Wert von 5,1 Billionen Dollar die Hand. Die meisten Staaten erkennen daher keine Bedrohung für ihr Währungsmonopol. Sie beobachten die Entwicklung und erlassen punktuell neue Regulierungen – in erster Linie, um Steuerhinterziehung und Geldwäsche zu verhindern. Sobald die Bedeutung der Kryptowährungen zunimmt, dürfte der schlafende Leviathan jedoch aufwachen. Dass Bitcoin oder Ether künftig Dollar, Euro und Pfund ersetzen werden, scheint – zumindest aus heutiger Sicht – unwahrscheinlich.
Potenzial im grenzüberschreitenden Zahlungsverkehr
Gleichwohl wäre es unklug, Bitcoin und Konsorten als kurzfristigen Hype abzutun. Kryptowährungen sind nämlich weitaus mehr als virtuelles Quasigeld. Sie erfüllen auch die Funktion eines Zahlungssystems. Potenzial besteht insbesondere im grenzüberschreitenden Zahlungsverkehr. Außerhalb des SEPA-Raums sind internationale Überweisungen oft teuer und langwierig, da viele verschiedene Intermediäre beteiligt sind. Die Abwicklung über eine Blockchain könnte Kosten und Zeitdauer von grenzüberschreitenden Zahlungen deutlich senken. Das Berliner Startup Bitbond nutzt deshalb bereits heute das Bitcoin-System statt des SWIFT-Netzwerks, um Crowd-basierte Unternehmenskredite an die hauptsächlich im Ausland ansässigen Empfänger zu übermitteln. Der Kreditbetrag wird dabei nur für die Überweisung in Bitcoins gewechselt. Sobald die Auszahlung beim Kreditnehmer eintrifft, wird sie in nationale Währung zurückgetauscht.
Intelligente Verträge
Doch Kryptowährungen eignen sich nicht bloß zum Zahlen. Sie können auch beliebige Assets verkörpern, was sich ICOs zunutze machen. Die bei einem ICO emittierten Coins stellen in der Regel einen Unternehmensanteil oder einen Schuldtitel dar oder sie berechtigen den Halter zum Bezug einer Leistung.
Großes Potenzial haben darüber hinaus sogenannte Smart Contracts, wie sie sich beispielsweise auf der Grundlage der Kryptowährung Ethereum implementieren lassen. Smart Contracts sind selbstausführende, in der Blockchain gespeicherte Verträge in der Form von Computerprogrammen. Eine Immobilientransaktion könnte beispielsweise in Zukunft so ablaufen, dass der Käufer die Kaufpreissumme über die Blockchain überweist. Ein im Voraus erstellter Smart Contract überschreibt ihm daraufhin automatisch via Blockchain die Eigentumsrechte an der Immobilie. Die Blockchain würde in diesem Fall das Grundbuch ersetzen. Eine Beurkundung des Kaufvertrags und die Eigentumsumschreibung durch den Notar wären nicht mehr notwendig.
Entwicklung erst am Anfang
Der Bitcoin wird in absehbarer Zukunft die herkömmlichen Währungen nicht verdrängen. Dennoch liegen Jamie Dimon und Joseph Stiglitz mit ihrer Beurteilung weit daneben. Bitcoin und andere Kryptowährungen sind weder Betrug noch sozial unnütz. Im Gegenteil! Sie schaffen laufend neue Anwendungsfälle, die helfen, verschiedene Arten von Transaktionen transparenter und einfacher zu gestalten. In einigen Fällen wird es künftig möglich sein, auf teure Intermediäre wie Banken, Treuhänder, Notare und Anwälte zu verzichten. Wir stehen erst am Anfang einer Entwicklung, deren Ende noch nicht absehbar ist. Klar ist indessen: Kryptowährungen und die ihnen zugrunde liegende Blockchain-Technologie werden im Wirtschaftsleben ihre Spuren hinterlassen.